Sicherlich, es gibt die Sirenenrufe, die uns dazu verführen möchten, nun endlich unsere kirchliche Mitgliedschaft wegzuwerfen. Wir halten uns trotzdem die Worte von Piux XI. (Mit brennender Sorge) vor Augen: "hier ist der Punkt erreicht, wo es um Letztes und Höchstes, um Rettung oder Untergang geht, und wo infolgedessen dem Gläubigen der Weg heldenmütigen Starkmutes der einzige Weg des Heiles ist. Wenn der Versucher oder Unterdrücker an ihn herantritt mit dem Judasansinnen des Kirchenaustrittes, dann kann er ihm nur – auch um den Preis schwerer irdischer Opfer – das Heilandswort entgegenhalten: "Weiche von mir, Satan, denn es steht geschrieben: den Herrn deinen Gott sollst du anbeten und Ihm allein dienen!" (Mt. 4, 10; Lc. 4, 8.)."
Die Treue zur Kirche wird dadurch erleichtert, dass man sich an echten
Vorbildern orientiert und nicht dem Wahn verfällt, irdischer Erfolg,
insbesondere irdische Güter wären das Alleinseligmachende. Die
Kirche feiert heute das Fest der Jungfrau und Märtyrin Martina; der
Eröffnungsvers der hl. Messe (Loquebar) lautet: "Ich legte Zeugnis
ab für Dein Gesetz vor Königen und wurde nicht zuschanden: ich
überdachte Dein Gebot, dass ich gar innig liebe." Natürlich wären
wir schon rein rechtlich nicht mehr befugt, die hl. Messe zu zelebrieren,
wenn wir uns dem Staat unterwerfen würden. Aber auch psychologisch
gesehen hielten wir es für unmöglich, als Abgefallener zu zelebrieren.
Da tragen wir an Märtyrerfesten immer wieder die Farbe rot, lesen
immer wieder die Ermahnungen zur Treue im Bekenntnis, feiern immer wieder
die Bekenntnistreue von Männern und Frauen quer durch die Jahrhunderte,
die auf alle nur erdenklichen perversen Arten hingemordet wurden, und wir
selbst sollten nicht bereit sein, Treue im Bekenntnis zu zeigen? Die erste
Oration in der Messe "Loquebar" lautet: "O Gott, du hast neben den andern
Wundern Deiner Macht auch dem schachen Geschlechte den Sieg des Martyriums
verliehen; gib in Deiner Gnade, daß wir dem Beispiele Deiner hl.
Jungfrau und Martyrin N., deren Geburtsfest wir feiern, folgen, und so
Dir entgegenschreiten." Als Verräter solche Gebete zu sprechen, scheint
uns unangemessen.
(94 (Schluss)) Unsere Bischofsstadt hütet das Grab des heiligen Matthias, des Apostels, der an die Stelle des Verräters Judas getreten ist. Er sollte da treu sein, wo der andere untreu geworden war. Und er hat auch Christus die Treue bis zum Tode gewahrt. Sein Grab mahnt daher alle katholischen Christen unseres Bistums: Bleibt Christus und seiner Kirche treu, wenn auch andere untreu werden!
Der Grund, warum wir besonders die Kapitel über Herbermann resp.
Wachsmann für eine KzM-Veröffentlichung in Erwägung gezogen
haben, war auch ganz bewusst die Perspektive der leidenden Frau. Herbermann
war vom Nazi-Terror direkt betroffen und schreibt nach Kriegsende über
ihre Erinnerungen an das KZ Ravensbrück (Mecklenburg), wo überwiegend
"Berufsverbrecher, Asoziale und Dirnen" interniert waren. Wachsmann schrieb
diese Briefe im Gefängnis an seine geliebte Schwester (s. die Kapitel-Einleitung
aus "Sieger in Fesseln", die wir mitveröffentlichen). Zu den letzten
Sätzen in Wachsmanns Leben gehört: "Verzeihung, daß ich
Dir in den letzten acht Monaten soviel Herzweh verursacht habe." Das ist
wohl kaum eine bloße Floskel. Die Briefe zeugen von einer echten
geschwisterlichen Liebe, so dass die Schwester trotz eigener Freiheit doch
zutiefst, "mit blutendem Herzen", unter dem Unrecht gelitten hat, das die
Staatsgewalt ihrem Bruder angetan hat - "im Namen des Volkes". Die aufmunternden
Worte an die Schwester, sie solle auf Gott vertrauen, gewinnen für
alle diejenigen eine ganz besondere Bedeutung, die - selbst Opfer staatlichen
Verbrechertums - um die christliche Gesinnung von Verwandten wissen. Manche
Menschen scheinen regelrecht daran zu zerbrechen, wenn sie das Leid geliebter
Menschen sehen, das "im Namen des Volkes" einem offenkundig Unschuldigen
aus purer Bosheit angetan wird. Wenn dann das Opfer schreibt: "Ich lege
Dich hinein in das Herz Christi. Gott wird für Dich sorgen. Sei nicht
mutlos! Vertrau auf Gott! Er hat mich nicht verlassen", sollte der Trost
umso größer sein. Schwingen wir uns also auf zu einer heroischen
Bereitschaft, in Christus und für Christus alles zu ertragen. Bleiben
wir also Christus und seiner Kirche treu, wenn auch andere untreu werden.
Lassen wir uns niemals durch verbrecherische Worte und Taten entmutigen,
selbst dann nicht, wenn sie "im Namen des Volkes" gesprochen und vollbracht
werden. Das letzte Gericht liegt nicht in der Hand von Menschen, sondern
in Gottes Hand. "Immer stehe ich vor Gott."
„IMMER STEHE ICH VOR GOTT"
Stettin, 20. Juli 1943
Hab herzlichen Dank für die schnelle Zustellung der Schlafpillen!
Dein Brief hat mir sehr wohlgetan. Ich weiß, daß hinter Deinen
tapferen Zeilen ein blutendes Herz zuckt. Aber ich weiß auch, daß
Du mir nicht gram bist, der ich ja schuld bin an Deinem großen Weh.
So wie Du schreibst: wir wollen es tapfer tragen in der festen Hoffnung,
daß nach dieser Zeit der Buße und Prüfung Tage stillen
Glückes und geschwisterlichen Zusammenseins kommen werden. Du weißt,
meine große Liebe gehört meinem schönen Beruf. Du weißt
aber auch, sonst gehört alle Liebe meines Herzens nur Dir. Ich habe
immer gewußt, was ich an Dir habe in Deiner beispiellosen Selbstlosigkeit.
Aber durch die schmerzliche und leidvolle Trennung kommt mir erst ganz
Deine große stille Liebe zum Bewußtsein. Werde nicht bitter!
Bewahre Dir und mir Deine Güte und Liebe! Ich werde sie sehr brauchen.
Meine Tage fließen einsam dahin, einer wie der andere. Wenn nur recht
bald der tägliche Gang in der frischen Luft erlaubt würde! Ich
freue midi schon sehr auf Dein Kommen am Dienstag. ...
Stettin, 1. August 1943
... Zelle 66, die ich allein bewohne, ist doppelt so groß wie
die im Polizei-Gefängnis. Das Bett ist tadellos sauber und sehr ordentlich.
Wenn ich an die Wanzen denke, die mir 5 Wochen lang keine Nacht Ruhe ließen,
dann bin ich von Herzen froh, daß ich ohne Tabletten schlafen kann.
Das Essen ist schmackhaft, wenn auch fettarm und ein wenig knapp. Ich darf
noch in Zivil gehen und meine Wäsche tragen.... Als Arbeit muß
ich alte Uniformen in Lumpen reißen und sortieren. Wenn die Arbeit
nicht so schrecklich stauben würde, wäre sie erträglich.
... Morgen, an meinem Namenstag, werde ich in Gedanken nur bei Dir sein.
Ich weiß, daß Deine Gedanken hier sind, und daß Deine
besten Wünsche nur mir gelten. Auch wenn ich morgen keine Post erhalten
sollte, sind wir so sehr vereint, wie nie zuvor. Not und Leid bindet ja
unsere Herzen so fest. Ich bin so froh, daß Du so tapfer bist und
mir dadurch hilfst, das Schwere zu tragen. Wenn ich doch recht bald alles
Gute Dir vergelten könnte! .. . Den Rosenkranz von Guardini bete ich
täglich und vom richtigen auch noch. Noch nie habe ich solche Einkehr
gehalten. Wenn nur der Herrgott mir gnädig ist und unsere heißen
Gebete erhören wollte! Alles, was in mir hohl und lau war, soll von
mir fallen. Ich will zu meinem ersten Eifer zurückkehren. Ich habe
wohl nie in meinem Leben so sehr die Kraft und Gnade, aber auch die Konzentration
des Gebetes erfahren, wie in diesen Wochen. Trotzdem kommen Stunden tiefer
Depression, die so ganz allein durchlitten werden müssen. ... Nun,
liebe Maria, wie geht es Dir? Ich weiß, daß Du viel tapferer
bist als ich. Deswegen gehört Dir nicht nur meine brüderliche
Liebe, sondern auch meine große Verehrung. Gräme Dich nicht,
sorge für Deine Gesundheit, spare alle Liebe und Güte für
den Gnadentag, wenn Gott uns wieder vereint!
Gollnow, 15. August 1943
... Ich empfinde diese grenzenlose Einsamkeit sehr schmerzlich. Ich
darf nur einmal im Monat Dir schreiben, aber Ihr dürft doch öfter
schreiben. Wie geht es Dir, innigstgeliebte Schwester? Ich bin so viel
bei Dir und möchte Dir so gern helfen und kann doch nichts tun in
meiner großen Not. Wegen meiner Gesundheit kannst Du unbesorgt sein.
Ich esse alles und soviel ich nur bekommen kann. Das Seelische ist viel
schwerer zu ertragen als das Körperliche. Wir müssen jetzt auch
in Gefangenenkleidung gehen. Von Berlin habe ich auf meinen Brief auch
keine Zeile erhalten. Was bin ich für andere in Not gelaufen! Es bleibt
wirklich nur noch Gott und das Gebet. So ist mein ganzer Tag ausgefüllt
mit Brevier, Rosenkranz und sehr schweren Stoßgebeten und stillem
Denken an Dich. Bis zum Termin muß man mit 10 bis 12 Wochen rechnen.
...
Nun, liebste Maria, tröste mich mit Deiner Liebe, Deinem Gebet,
Besuch und Brief! Täglich kommt mir immer mehr zum Bewußtsein,
wie ungeübt im Leiden ich bin und wie groß Du vor mir stehst.
Denke nicht, ich lasse mich gehen! Aber glaube es: diese 50 Tage sind eine
harte Schule und dann erst der Anfang.
Stettin, 19. September 1943
... Gesundheitlich geht es mir gut. Seelisch bin ich oft deprimiert.
Der Tag ist ausgefüllt mit heißen Bittgebeten und „es geschehe
Dein Wille!" Es wechseln Hoffnung und Ängste. Ich bin vollkommen isoliert.
Deine Zeilen und Schwester Amatas sind das einzige, was ich höre.
... Seit August keine heilige Messe, kein Sakrament, kein Priester! Was
mir den meisten Trost bringt, ist, wenn Deine große Liebe im Brief
zu mir kommt. Wie lange noch? Ach, liebste Maria, wenn ich Dir doch sagen
könnte, wie lieb ich Dich habe und wie ich in Zukunft außer
im heiligen Beruf nur für Dich und nur mit Dir leben möchte!
Ich bin so froh, daß die Exerzitien Dich stark und froh gemacht haben.
Mich trägt nur noch das Gebet, besonders der Rosenkranz. ...
Stettin, 17. Oktober 1943
... In letzter Zeit bin ich viel ruhiger geworden. Ich habe mein Schicksal
ganz und restlos in Gottes Hand gelegt. Zwar hatte ich das von Anfang an
getan, aber erst in der Schule des Kreuzes gewann ich die Gnade, es nicht
nur mit einem betenden Wort, sondern mit dem vollen Einsatz der persönlichen
Existenz zu tun. Mein ganzer Tag ist Gebet: Rosenkränze, Kreuzweg,
Litanei. Dann lese ich Heilige Schrift. Mark. 11, 24 ["Um was immer ihr
im Gebete bittet, glaubt nur, daß ihr es schon besitzet; dann wird
es eucb zuteil werden."]) ist für mich die Quelle unerschütterlichen
Vertrauens. Wie Gott helfen wird, weiß ich nicht, aber daß
er mir hilft, glaube ich fest. Lies Hebr. 11,1 ["Der Glaube ist die Grundlage
von dem, was man erhofft, ein Überzeugtsein Ton Dingen, die man nicht
sieht."! Meine Devise ist Rom. 12,12 [Seid fröhlich in der Hoffnung,
geduldig in der Trübsal, beharrlich im Gebet!"]. Ich weiß mich
geborgen in Gottes Güte; aber deswegen bleibt mir manche trübe
Stunde nicht erspart. Apok. 3,19 ["Ich strafe und züchtige alle, die
ich liebe. So sei denn eifrig und ändere deinen Sinn!"] und 2,10 ["Hab'
keine Furcht vor dem. was du noch leiden mußt! Sieh, der Teufel wird
manche unter euch ins Gefängnis bringen, daß ihr geprüft
werdet: ihr werdet Trübsal haben zehn Tage lang. Doch sei getreu bis
in den Tod, dann will ich dir den Kranz des Lebens geben."], Rom. 8, 35
["Wer wird uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal, Bedrängnis
und Verfolgung, Hunger oder Blöße oder Todesgefahr oder Schwert?"]
und 2. Kor. 7,10 [Bewirkt doch die gottgefällige Betrübnis Reue,
die heilsam ist und darum nicht bereut wird; die Betrübnis der Welt
aber bewirkt den Tod."]. Wie oft habe ich all diese Schriftworte gelesen,
und jetzt erst in der Dunkelheit des eigenen Lebens leuchten sie wie Sterne.
... Wenn Gott in seiner Barmherzigkeit mich wieder an den Altar treten
läßt, dann hoffe ich, es zu tun als Priester, der vom Ölberg
kommt und vom Mysterium der Sünde, aber auch vom Geheimnis der Erlösung
und Gnade wissend geworden ist. Nur in der Schule des Kreuzes, erfahren
im selbst durchlittenen Leid und nur in der Übung heißen Gebetes
wird die Erkenntnis Christi gewonnen, die kein Studium erschließt.
Heute bin ich so weit, Gott aufrichtig und heiß zu danken für
die Gnade dieser Leidenszeit, wenngleich ich bitte, daß sie abgekürzt
wird. Seit Ende Juli kein Sakrament mehr! Gott tröstet oft so wunderbar
und gerade dann, wenn man es gar nicht erwartet. Die Nachfolge Christi
lateinisch hätte ich sehr gern ...
Berlin-Tegel, 1. Dezember 1943
Was ich in der letzten Woche durchlebte, läßt sich kaum
in Worte fassen. Die Angriffe waren so nah und schlimm, daß ich in
jeder der ersten Nächte glaubte, Dich nicht wiederzusehen. Seit 22.
November ist keine Scheibe in meiner Zelle mehr ganz. Gottlob habe ich
den warmen Mantel hier. Eine Garnitur Wäsche ist verbrannt. Glassplitter
im Gesicht, aber nichts passiert. Donnerstag nach Tegel übergesiedelt.
Donnerstag auf Freitag der furchtbare Angriff auf Tegel. Wieder Scheiben
zertrümmert. Die Zellen bleiben verschlossen. Im Gottvertrauen habe
ich die Ruhe des Herzens bewahrt und die Kraft des Geistes aktiviert. Was
mich mit großer Sorge erfüllt: Lebst Du? Bist Du gleich Montag
nach Hause gefahren? Der Verteidiger war immer noch nicht bei mir. So sitze
ich in einer qualvollen Ungewißheit. Aber ich habe das Vertrauen,
daß Gott, der mich so wunderbar behütet hat, Euch alle in seiner
Hand hält. Ich bete ja stündlich für Euch. Während
des Angriffes habe ich meine heißesten Gebete für Euch verrichtet.
Jeden Abend die Frage: Werden sie heute nacht kommen? Trotz der vermehrten
Gefahren bin ich noch ruhiger geworden ... Jetzt lese ich in der lateinischen
Nachfolge und in Guardini, Der Herr. Ich habe sehr viel Gelegenheit, mich
auf Weihnachten gut vorzubereiten: Hunger, Kälte, tägliche Todesgefahr.
Ich hoffe zuversichtlich, daß Gott uns barmherzig sein wird. Ich
hoffe, daß ich Dich recht bald sehen und sprechen kann. Sonntag war
ich der ununterbrochene Anbeter beim ewigen Gebet in Greifswald. Wie mag
die Beteiligung gewesen sein? Besonders bete ich für die Kinder. Was
mag uns noch alles bevorstehen? Manchmal meine ich, ich könnte nicht
mehr, — und dann muß ich doch weiter. Ich umarme Dich und danke Dir
aus tiefstem Herzen für Deine Liebe und Treue, trage Dich als den
einzig geliebten Menschen in meinem Herzen.
Berlin-Tegel, 23. Dezember 1943
.. . Ich bin in großer Sorge, wie Du den heiligen Abend verleben
wirst. 1897 verloren wir Weihnachten den Vater, vor zwei Jahren rief Gott
gerade zu Weihnachten unsere geliebte Mutter heim. In diesem Jahre ist
Dir der Bruder genommen, der auf Erden unter allen Menschen nur Dich geliebt
hat und jetzt hochverehrt. Bei mir ist der Rahmen des Festes klar umgrenzt:
die Kerkerzelle. So arm wie in diesem Jahr habe ich noch nie an der Krippe
gekniet. Mir ist alles abgesprochen: mein Heim, meine Ehre, mein Leben.
So will ich an der Krippe dessen knien, der nicht hatte, wohin er sein
Haupt legen konnte, der als Freund seines Volkes zum Tode verurteilt wurde,
der sein Blut als Trankopfer ausgoß für das Heil seines Volkes
und der ganzen Welt.
Als Gabe trage ich zur Krippe: Hunger und Kälte, Einsamkeit und
Verlassenheit. Mein einziger Schmuck sind die blanken Fesseln. So will
ich mein Leben, das im Dienste des Weihnachtskönigs stand, ihm geben,
der mich mit seinem kostbaren Blut erlöst hat. Mit reichen Tränen
der Reue will ich abwaschen, was Schuld und Sünde in mir geworden
ist. In solcher Gesinnung pilgere ich zur Krippe. Ich hoffe, mit der Gnade
Weihnachten so tief im Herzen und im Geist zu feiern, wie nie zuvor im
Leben. Kein Geschenk und kein Festbissen wird mich ablenken, keine Kerze
wird leuchten, keine Tanne duften; nicht einmal die heilige Messe ist mir
vergönnt. Aber das Jesuskind in der Eucharistie wird als herrliche
Weihnachtswirklichkeit mich mit dem ewigen Licht durchleuchten, mit der
Wärme erbarmender Liebe erfüllen. Ich werde das Brevier beten,
so langsam und innig, daß ich die Süßigkeit jedes Wortes
schmecke; das primo tempore werde ich leise singen. Viel werde ich Rosenkranz
beten und in der Heiligen Schrift lesen. So hoffe ich, wird Christi Friede
mein Anteil und seine Gnade meine Herrlichkeit sein. Ich bin ohne jede
Bitterkeit, ich trage alles mit der Geduld, die nur Christus gibt. Ich
hoffe, daß mein Gebet und das Gebet so vieler erhört wird; daß
ich wieder einmal das Gloria anstimmen darf am Altar. Dir wünsche
ich die Gnade Christi, damit Du stark und in Liebe mit mir die Myrrhe trinkst,
die uns Gottes Liebe in diesem Jahr kredenzt. Wisse, daß ich immer
bei Dir bin, und daß ich Gott wohl stündlich anflehe,, er möge
Dein reicher Vergelter sein für alles, was Du in Treue und Liebe für
mich getan und getragen hast. Du bist der einzige Mensch, der in keiner
Sekunde versagt hat. Liebste Maria, grüße Oberin und alle Schwestern
recht herzlich von mir. Wenn Du willst, lies ihnen als Weihnachtswunsch
diesen Brief vor. Also reichen Segen für Dein Herz! Um unsere Herzen
schlingt sich der Dornenkranz des Leids unlöslich.
Brandenburg-Garden, 6. Januar 1944
.. .Wir hatten in letzter Zeit fast jede Nacht Alarm. Hier sind, Gott
sei Dank, die Fenster ganz, so daß es warm ist. Ich hatte heute recht
große Freude am Brevier. Illuminare, Jerusalem! (Werde Licht, Jerusalem!).
Dann werde ich jetzt täglich aus dem Brevier hinten die Commendatio
animae beten .. . Es soll mir eine tägliche Einübung zum Sterben
sein. Dann lese ich viel das Neue Testament, jetzt den Hebräerbrief.
Er ist wundervoll. Jetzt habe ich den ersten Johannesbrief griechisch gelesen.
Herr Pfarrer wird mir oft die heilige Kommunion bringen. So lebe ich ganz
im Geistigen und Pneumatischen. Mein treuester Begleiter ist der Rosenkranz.
Mutter bekommt täglich einen, und für Dich bete ich ohne Unterlaß.
Ich kann Dir immer wieder versichern, wie sehr lieb ich Dich habe. Das
schwerste Opfer ist mir, daß ich Deine Nähe entbehren muß.
Jetzt warte ich jeden Tag, daß Du kommst! — Als ich an den Hochaltar
meißeln ließ „Et iterum venturus est", ahnte ich nicht, daß
ich einmal jeden Tag nach der Tür schauen würde, ob der Herr
schon kommt. So wie ich jetzt täglich auf die Parusie Christi warte,
müßte es eigentlich jeder Christ tun. Ich wache und bete, um
die Einladung Christi „Ecce sponsus venit" zu hören. Trotz der Herrlichkeit
des ewigen Lebens (Geh. Offb.), die an den transparenten Horizonten wetterleuchtet,
wird das Ausziehen des alten Kleides, wird das Abschiednehmen von der Erde"
schwer. Ich bin ein Mensch! So hoffe ich und bete, daß Gottes Gnade
mich wieder an den Altar führt, wenn es dem Willen Gottes so gefällt.
Grüße alle, die für mich beten. Sage jedem, daß es
nur e i n Unglück gibt, die Sünde. Grüße besonders
Oberin, alle Schwestern, die Kinder, die Armen, die Kranken und die Kummer
und Leid tragen! Komme bald und bringe gute Nachricht!
Brandenburg-Garden, 29. Januar 1944
Am 27. Januar waren es 15 Jahre, daß ich in Greifswald bin. Ich
habe diesen Tag still im Herzen gefeiert. Da ist mir so recht klar geworden,
wie sehr ich die Pfarrei liebe. Ich habe Gewissenserforschung gehalten.
Gewiß, ich habe Fehler begangen und Unterlassungen; aber ich muß
doch dankbar sein für all das Gute, das Gott durch mich zu wirken
sich würdigte. Ich habe viel und für.jede Familie gebetet. Dies
tue ich jeden Tag. Ich flehe zu Gott, daß er die Kinder segne und
daß keines verloren gehe, für die Armen, daß sie ihren
Reichtum in Christus erkennen, für die Reichen, daß sie Schätze
im Himmel sammeln, für die Studierenden, daß sie wachsen in
der Erkenntnis, für die Professoren, daß sie die alles übersteigende
Erkenntnis Christi schätzen ... Ich studiere jetzt Augustins Gottesstaat
und Tertullian. Ich lebe strenger und schweigsamer als ein Kartäuser.
Das Neue Testament lese ich griechisch mit viel Freude. Gestern Joh. 10:
Der gute Hirte. und heute Joh. 11: Lazarus. „Wer an mich glaubt, der wird
leben, auch wenn er schon gestorben ist." Wie oft habe ich diese großen
heiligen Texte gelesen und meditiert! Und doch, welch ewiges Leuchten,
welch göttlicher Glanz blitzt auf, wenn ich sie lese als einer, der
am Rande der Welt steht und in der Sterbekerze Christus, das Licht der
Welt erkennt. Jetzt ist mein ganzer Tag Gebet. Ob ich lese oder sinne,
ob ich meine Sünden beweine oder für die Barmherzigkeit danke,
immer stehe ich vor Gott. Wenn meine Stunde kommt, hoffe ich, daß
Christus mich hinüberreißt zum Vater. Wenn Gott unser heißes
Gebet erhört, daß ich wieder am Altare stehen darf, dann will
ich die Barmherzigkeit preisen in Ewigkeit. Ich möchte in diesem Fall
irgendwo ganz still opfern, beten und wirken.
Nun, liebe Minka, muß ich Dir sagen, daß ich ohne Unterlaß
für Dich bete und Gott den überströmenden Dank meines Herzens
sage, daß er Dich mir geschenkt hat. Ich habe Dir im Leben nicht
viel Zärtlichkeit gesagt und getan, aber ich habe Dich geliebt und
war und bin stolz auf meine fromme und so gute Schwester. Ach könnte
ich Dir doch noch einmal würdig danken! Jetzt bleibt mir nur die tägliche
Begegnung vor Gott. Sei so lieb und sage ein Wort des Dankes allen, die
ein gutes Wort an mich oder für mich geschrieben oder gesagt haben
...
Brandenburg-Garden, 11. Februar 1944
Wenn Du diese Zeilen erhältst, sind wir schon in der Fastenzeit.
Sie in diesem Jahre zu gestalten, ist durch die Situation gegeben. Ich
faste ja schon über 8 Monate,habe also Übung darin. Ich will
daher dieses Fasten heiligen besonders im Gebet. Manchmal möchte ich
müde werden, wie einer, der nicht mehr kann. Dann hilft Gott mit seiner
Gnade. Als besondere Buße will ich in Geduld die Fesseln tragen,
die ich schon über 70 Tage trage, die mich furchtbar quälen und
schmerzen. Was ich mit den Händen gesündigt habe! Um mich zu
trösten und zu stärken, denke ich oft daran, wie Christus Fesseln
trug, wie Petrus und Paulus in Fesseln lagen. Im März ist es der neunte
Herz-Jesu-Freitag. Ich weiß, daß Du alles mit mir leidest,
aber bitte, faste Du nicht! Sorge, daß Du gesund bleibst! Wir wollen
zusammen beten, daß Gott uns barmherzig sei. An die Einsamkeit habe
ich mich gewöhnt und fange an, sie zu lieben. Ich entdecke langsam
Talent zum Mönch. Als Trost und Spruch der Woche merke Dir von Bloy:
„Es gibt nur eine Traurigkeit, diejenige, kein Heiliger zu sein." Für
Deinen letzten Besuch bin ich Dir sehr dankbar. Es ist der Lichtpunkt;
die gezählten Minuten Deines Hierseins sind die Kraftreserven für
die nächsten Wochen. Nun hoffe ich wieder, bis Du hier bist. Im Herzen
werde ich noch ruhiger. Mein Leben liegt in Gottes Hand. Meine Existenz
ist geborgen in der Gnade dessen, der am Kreuze hingerichtet worden ist.
Die Form meines Lebens: zu hoffen auf die Barmherzigkeit und Treue Gottes.
Die Passion ist die Weise, wie der Mensch von der geistigen Einsicht zur
Realisierung Christi gnadenvoll geführt wird. Ein schmerzlicher, aber
doch süßer Weg! Am schwersten wird mir die Geduld. 0, was kann
ich noch ungeduldig beten! All meine Sorgen, Schmerzen und Gebete opfere
ich für die Gemeinde auf. Ich bete täglich, fast möchte
ich sagen, für jeden einzelnen. Am meisten und inbrünstigsten
für Dich. 0, daß wir doch wieder nebeneinander knien dürften!
Sehr gefreut habe ich mich über die Zeilen aus Göttingen. Schreibe
ihnen doch, mir seien vor Freude über die tiefe Religiosität
die Tränen gekommen. Ich denke ihrer in besonders dringlicher Weise.
... Dir selbst die herzlichsten Grüße und den gestammelten Dank
von Deinem Bruder, dem nichts mehr gehört, nicht einmal das Leben.
Auf baldiges Wiedersehen! Schreibe bald!
Brandenburg-Görden, 21. Februar 1944
Liebe Minka!
Ich sterbe um 3 Uhr.
Nun ist die Stunde gekommen, die Gott in ewiger Liebe für mich
bestimmt hat. Der gute Scholz hat mir meine Beichte gehört und die
Wegzehrung gereicht. In einer Stunde gehe ich hinüber in die Herrlichkeit
des lebendigen Gottes. Ich habe mich ganz und restlos und ohne jeden Vorbehalt
Gott ergeben. In Seiner Hand bin ich geborgen. In Seinem heiligen Herzen
wird mich Christus hinüberreißen zum Vater. Maria wird mich
beschützen und St. Josef mich begleiten. Nun muß ich noch Abschied
nehmen von Dir. Hab herzlichen Dank für alles, alles, was Du im Leben
mir Gutes getan hast! Sei gesegnet für die Liebe, die Du mir geschenkt,
für die Nachsicht und Geduld, die Du mit mir gehabt. Besonders herzlich
bitte ich Dich um Verzeihung, daß ich Dir in den letzten acht Monaten
soviel Herzweh verursacht habe. Ich lege Dich hinein in das Herz Christi.
Gott wird für Dich sorgen. Sei nicht mutlos! Vertrau auf Gott! Er
hat mich nicht verlassen. Die acht Monate meiner Vorbereitung auf die Ewigkeit
waren schwer, aber doch sehr schön. Nun muß ich durch die enge
Pforte der Guillotine heimgehen. Ich bin überzeugt, daß Vater
und Mutter auf mich warten. Grüße ... alle, alle!
Ahnungslos, daß ich heute sterben muß, las ich von Reinhold
Schneider die drei ersten Erzählungen aus „Dunkle Nacht".
Liebe Maria! Es segne Dich der Allmächtige Gott, der Vater, der
Sohn und der Heilige Geist!
Auf Wiedersehen im Himmel!
Alfons.
An A. wollte ich noch schreiben, aber es ist keine Zeit mehr. Ich habe
oft für sie gebetet. Wenn ich bei Gott bin, will ich viel für
die Greifswalder beten.