Predigt am 10.08.2003

- Laurentius (9. Sonntag nach Pfingsten), d II cl -
(Kirche zum Mitreden, 10.08.2003)
2 Kor 9,6-10; Joh 12,24-26

Das heutige Fest des hl. Laurentius, der im 3. Jahrhundert das Martyrium erlitt, gehörte schon früh zu den bedeutendsten kirchlichen Festen. Laurentius war Diakon des hl. Papstes Sixtus II., der einige Tage vor Laurentius das Martyrium erlitt und dessen die Kirche am 6. August gedenkt. Laurentius starb auf einem glühenden Rost den Feuertod.
In den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt hatten die Christen unter vielen römischen Kaisern furchtbar zu leiden, großangelegte Christenverfolgungen gingen fast Hand in Hand. Es gab Zeiten, in denen die Kirche eine gewisse Ruhe vor den Verfolgern hatte, doch noch im 20. Jahrhundert wüteten der Nationalsozialismus und der Kommunismus mit entsetzlicher Grausamkeit gegen diejenigen, die sich zur wahren Kirche Christi, also zur römisch-katholischen Kirche, bekannten. Nun, im 21. Jahrhundert in Deutschland, könnte es vielleicht so scheinen, als lebte die Kirche in fast schon paradiesischen Zuständen. Es wehen nicht an jeder Straße Hakenkreuz-Flaggen, es finden keine Masseneinweisungen von Klerikern in Konzentrationslager mehr statt, es ziehen nicht regelmäßig SA-Truppen durch die Stadt, die Spottlieder gegen die Kirche singen. Kleriker im Dritten Reich mussten es hinnehmen, öffentlich mit den übelsten Beleidigungen belegt zu werden. Kleriker im Dritten Reich wurden zu Staatsfeinden erklärt. Kleriker im Dritten Reich wurden entweder mit absolut unhaltbaren Vorwürfen oder auch ganz ohne Begründung in die Gefängnisse geworfen und hingerichtet.
Die Zeiten haben sich geändert. Die heutige Bundesrepublik Deutschland hat ein Strafgesetzbuch, in dem u.a. der Völkermord als strafwürdiges Delikt bezeichnet wird. Der entsprechende Paragraph (220a) lautet: "(1) Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, 1. Mitglieder der Gruppe tötet, 2. Mitgliedern der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden [...] zufügt, 3. die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, 4. Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen, 5. Kinder der Gruppe in eine andere Gruppe gewaltsam überführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft."
Da die Kirche zweifelsfrei eine religiöse Gruppe ist, kann und muss jeder, der die Kirche als solche "ganz oder teilweise zu zerstören" versucht, gemäß diesem Gesetz bestraft werden. Die Kirche genießt auf dem Papier einen hervorragenden Schutz ihrer Lebensbedingungen in Freiheit und Gerechtigkeit. Insbesondere die Kleriker sind buchstäblich bestens abgesichert, denn wegen ihrer besonderen Wichtigkeit bei der Leitung, Verkündigung und Sakramentenspendung würde jede Aktion gegen einen Kleriker einen besonders schweren und entsprechend strafwürdigen Verstoß gegen den Völkermord-Paragraphen bedeuten. Angesichts dieser Lage könnte die Christenverfolgung durch den Nationalsozialismus in Vergessenheit geraten, und Märtyrer wie der hl. Laurentius werden zwar noch als Heilige verehrt, aber sie dienen nicht mehr als Vorbild für ein unerschrockenes Glaubensbekenntnis bis zum Tod, eben weil der Kirche keine Gefahr mehr droht, die nicht durch den staatlichen Schutz abgewehrt ist.
Was aber wäre, wenn sich ein Fehler in das System eingeschlichen hätte? Der schlimmste Albtraum ist wohl der, dass die Gemeinschaft, die vom Staat als römisch-katholische Kirche bezeichnet und behandelt wird, nicht die römisch-katholische Kirche ist. Zum einen käme jeder staatliche Schutz der Kirche einer Sekte zugute, d.h. eine Sekte würde vom Staat gehegt und gepflegt, verteidigt und gestärkt. Zum anderen ist zu bedenken: Die wahre römisch-katholische Kirche muss sich ja auch öffentlich als römisch-katholische Kirche bezeichnen und zu erkennen geben, denn sie ist der Wahrheit verpflichtet, die auch den Missionsauftrag einschließt, damit jeder die wahre Kirche kennenlernen und sich ihr anschließen kann. Bereits in der frühen Kirche, während der Christenverfolgungen unter den römischen Kaisern, wurde es als Glaubensabfall verurteilt, wenn jemand aufgrund staatlichen Zwanges seinen Glauben verleugnete, selbst dann, wenn die Glaubensverleugnung nur geheuchelt wurde. Das bedeutet: Auch heute würde der Tatbestand des Glaubensabfalls erfüllt, wenn jemand aufgrund staatlichen Zwanges seine Zugehörigkeit zur Kirche verleugnet. Also: Würde der Staat eine Sekte als katholische Kirche bezeichnen und behandeln, würde er folglich der wahren Kirche nicht nur den ihr bereits durch das Naturrecht zustehenden und ihr sogar gesetzlich garantierten Schutz verweigern, er würde sogar aktiv gegen die Kirche vorgehen, weil er ihr das Recht verweigerte, als katholische Kirche in Erscheinung zu treten. Damit würde er selbst die Zerstörung der Kirche betreiben. Er würde die Kirche ihrer notwendigen Lebensbedingungen radikal berauben, er würde jeden, der sich treu zur Kirche bekennt, zum Schweigen bringen, auf die eine oder andere Weise. Eine solche Situation wäre für die Kirche dann keineswegs paradiesisch. Die Kirche würde sich einer Situation ausgesetzt sehen, die den Vergleich zum nationalsozialistischen Terror durchaus nicht zu scheuen braucht.
Das Ausmaß einer solchen totalen Katastrophe könnte fast nur noch dadurch gesteigert werden, dass ein Aktivist unter dem Deckmantel der unverfälschten Katholizität es sich zum Ziel setzt, denen, die in der dann wirklich zusammengeschrumpften "Kleinen Herde" noch verblieben sind, den Todesstoß zu verpassen. Jemand, der vielleicht in ungeordneten familiären Verhältnissen lebt, dessen Gebrauch von Genussmitteln außer Kontrolle geraten ist, könnte es öffentlich als sein Ziel erkären, den unverbrüchlich treuen katholischen Klerikern "das Maul zu stopfen". Schließlich wurden Kleriker auch schon in der Nazizeit mit Formulierungen bedacht wie: "Du Pfaffenhund, wirst 's Maul halten!" Damit der Aktivist nicht als Wolf im Schafspelz erkannt wird, schreibt er sich vielleicht noch in großen Lettern "Herr, erbarme dich" auf die Fahnen, in der nicht unbegründeten Hoffnung, dass dann einige auf die Hetzpropaganda des Aktivisten gegen die Kirche hereinfallen werden.
Könnte selbst 2000 Jahre nach Christi Geburt noch eine solche wie die skizzierte Situation eintreten und bestehen? Würde Gott es zulassen, dass nach 2000 Jahren Christentum fast die ganze Welt von der Wahrheit nichts wissen will, dass fast die ganze Welt Hirngespinsten und Lügen hinterherläuft? Selbst wenn eine solche schreckliche Situation Wirklichkeit wäre, dürfte unsere Haltung keine andere sein als die, die uns von Märtyrern wie dem hl. Laurentius vorgelebt wurde: Unsere Bekenntnistreue muss unverbrüchlich sein, selbst dann, wenn uns dafür Verschmähung und Verachtung, Folter und Hinrichtung drohen. Wenn die Verfolgung uns droht, verlieren wir nicht den Mut. Lernen wir von den Märtyrern, selbst angesichts drohender Qualen und selbst im Erleiden der furchtbarsten Qualen treue Zeugen Christi zu bleiben. "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer sein Leben liebt, wird es verlieren; wer aber sein Leben in dieser Welt haßt, wird es bewahren für das ewige Leben." Amen.

S. auch:
Christus in Dachau (4 / 23)
Nummer 4 lebt!
Nachruf auf August Groß

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