Widerstand gegen die Staatsgewalt

- Bernhard Häring über das Widerstandsrecht -
(Kirche zum Mitreden, 31.12.1999)

die staatsgewalt -site:w / ikiped/ ia.o/ rg bei G.
wann hat das Volk das Recht eine Regierung abzusetzen bei G.
Im folgenden zitieren wir aus der umfangreichen Moraltheologie "Das Gesetz Christi", 1. Auflage Freiburg 1954, 984-987, von Bernhard Häring (gest. 1998). Sowohl das Datum als auch der Autor dieses Textes sind dabei von Bedeutung.
1954 war das Tausendjährige Reich (1933-1945) den damaligen Autoren sicher noch besser im Gedächtnis als den Autoren von heute. Die deutsche Kultur, die Adolf von Österreich mit Hilfe seiner Schlägertruppen und an erster Stelle den Millionen von begeisterten Mitläufern herangezüchtet hatte, war ein abschreckendes Beispiel dafür, wie ein Staat endet, der die göttlichen Gesetze verhöhnt: zu den Eigenschaften der Nazi-Kultur gehörten: Verbot von Kruzifixen in öffentlichen Gebäuden, Verbreitung einer antichristlichen Ideologie als christliche Lehre, Verurteilung unschuldiger Kleriker wegen ihres Bekenntnis des katholischen Glaubens, Wildwuchs einer "Justiz", die sich selbst als übergöttliche Instanz verstand etc.
Häring greift für die Darstellung seiner Position besonders auf M. Pribilla zurück, aber auch auf M. Laros, von dem wir bereits Texte bei KzM veröffentlicht haben (s. Kompromissbereitschaft). Überhaupt ist Härings DGS eine umfangreiche Sammlung von Zitaten aus oder Querverweisen auf anerkannte christliche Quellen. Im Namensverzeichnis fällt auf, dass Häring ausgiebig auf die beiden letzten Päpste (Pius XI. und Pius XII.) und v.a. auf Thomas von Aquin verweist. In sehr vielen Fragen erhält man also bei Häring eine richtige Auskunft. Warum Häring DGS überhaupt geschrieben hat, ist schwierig zu beantworten. Am plausibelsten erscheint uns die Annahme, dass er quasi seinen Fuß in die Tür setzen wollte: Mit so einem umfangreichen, zum Nachschlagen wirklich nützlichen Werk konnte er sich eine ausgezeichnete Anerkennung verschaffen. Folgt man dieser Annahme, so spiegelt DGS also kaum die Überzeugungen Härings wider, sondern ist vielmehr als Blender konzipiert, um sich einen guten Namen zu verschaffen. Bei Eröffnung von Vatikanum 2, d.h. nur acht Jahre nach DGS, galt Häring ohnehin schon als "Liberaler", dem von katholischer Seite Mißtrauen entgegengebracht wurde. Als Ganzes wird man DGS schwerlich als liberales Machwerk verurteilen können, aber gewisse Äußerungen lassen zumindest erahnen, dass in dem Autor ein Kirchenhass steckt, wodurch er ja auch später bekannt wurde, als er etwa seine "Erfahrungen mit der Kirche" publizierte. Härings in DGS geäußertes Machtwort zum Hexenwahn werden wir an anderer Stelle zitieren. DGS wurde erwartungsgemäß eine Art Standardwerk und erfuhr noch einige Auflagen, wobei der beträchtliche Textbestand dann in drei Bände aufgeteilt wurde. Nach Vatikanum 2 erklärte Häring im Vorwort zu DGS, dass er wegen "des Konzils" z.T. erheblich von früher vertretenen Positionen abgewichen sei, und schließlich benannte er sein Handbuch um in "Frei in Christus". Einerseits haben wir also einen liberalen Autor, andererseits haben wir katholische Quellen, nämlich Texte von denjenigen, die während des Nazi-Terrors dem Massenwahn die Stirn geboten haben.
Anfang des kommenden Jahres werden wir den Prozess gegen die Bundesrepublik Deutschland beginnen. Wie auch immer dieser Prozess ausgehen wird, wir werden uns niemals einem gottfeindlichen Regime unterwerfen, und am Ende der Zeit wird sich jedes Knie vor Christus, dem Herrscher des Weltalls, beugen müssen (cf. Phil 2,10).

Vom Widerstandsrecht der Untertanen

(1) Gegen eine rechtmäßige Regierung ist die Revolution schlechthin unzulässig, auch wenn der Träger der Gewalt persönlich schwere Sünden begeht oder einzelne bedrückende und ungerechte Gesetze erläßt. Der Begriff »rechtmäßig« besagt ja schon, daß diese Regierung das Recht hat, Unterordnung zu fordern (Vergleiche den 63. Satz des Syllabus Pius IX., Denzinger 1763).
(2) Gegen den ungerechten persönlichen Angriff von seiten eines Regierenden darf man sich wehren, im äußersten Notfall sogar bis zur Tötung des ungerechten Angreifers.
(3) Einer unrechtmäßigen Regierung schuldet man an sich, wenn nicht besondere Gründe eine Ausnahme verlangen, keine Unterwürfigkeit.
a) Eine Regierung kann unrechtmäßig sein durch die Art und Weise, wie sie zur Macht kommt. Der Revolutionär, der sich gegen seine rechtmäßige Regierung erhebt, wird nicht dadurch zur rechtmäßigen Obrigkeit, daß er einen Teil des Staatsgebietes tatsächlich unter seine Macht bringt.
Jeder Bürger ist verpflichtet, seiner rechtmäßigen Regierung in der Abwehr gegen die Aufrührer zu helfen, nötigenfalls auch durch Tötung der Usurpatoren im Verlaufe dieses Abwehrkampfes. Es handelt sich in diesem Fall ja nicht um die Tötung auf private Anmaßung hin - dies wäre unerlaubt -, sondern um die Ausführung des Willens der rechtmäßigen Autorität, beziehungsweise um eine gesetzesgemäße Kampfhandlung.
Wenn der Usurpator tatsächlich die Staatsgewalt fest im Besitz hat, darf die bislang rechtmäßige Regierung nur mehr zum Kampfe aufrufen, wenn sie sich davon moralisch sicher Erfolg und auf das Ganze gesehen eine Förderung des Gemeinwohles erwartet. Die eigenen Ansprüche auf die Regierungsgewalt müssen schließlich zurücktreten gegenüber der Rücksicht auf die Wohlfahrt des gesamten Volkes.
Das Allgemeinwohl ist auch für das Staatsvolk der Maßstab dafür, ob es die Regierung des Usurpators anerkennen soll oder nicht.
b) Eine Regierung, die legal zur Macht gekommen ist, kann unrechtmäßig werden durch äußersten Mißbrauch ihrer Macht gegen das Allgemeinwohl, durch Untergrabung von Religion und Sittlichkeit, von Recht und Gerechtigkeit.
Eine Regierung verliert jedoch ihre Rechtmäßigkeit nicht schon durch schwere persönliche Sünden der Regierenden und auch nicht durch einzelne schlechte Gesetze, sondern nur durch die direkte Verkehrung des Sinnes und Zweckes der Obrigkeit.

Wenn einmal grundsätzlich zugegeben ist, daß eine Regierung ihre Rechtmäßigkeit durch den äußersten Mißbrauch ihrer Macht verliert, dann ist auch im Kern schon dem Volke das Recht zugebilligt, seine Sache selbst gegen diese unrechtmäßige Regierung in die Hand zu nehmen. Die Frage ist nur: Auf welche Weise?
Der passive Widerstand (die gewaltlose und geschlossene Nichtbefolgung von Gesetzen) kann auch gegenüber einer rechtmäßigen Regierung in Frage kommen in Bezug auf einzelne Gesetze, die ungerecht sind und Böses verlangen. Erst recht ist der passive Widerstand erlaubt gegenüber einer wesenhaft schlechten Regierung.
Die schwierigere Frage ist, ob es einer Regierung gegenüber, »die offenkundig zum Feinde des Volkes wird, die dauernd und in schwerster Weise gegen das Gemeinwohl verstößt«, das Recht zum aktiven Widerstande gibt. Dieses Recht hat neuerdings Max Pribilla mit guten Gründen und in kundiger Auslegung der Schrift und Tradition vertreten (M. Pribilla S. J., An den Grenzen der Staatsgewalt, in: Stimmen der Zeit 141 (1948) S. 410-427; Schlange und Taube, ebenda 148 (1951) S. 161-172). In ähnlicher "Weise äußerte sich nach ihm Matthias Laros" (M. Laros, Seid klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben. Frankfurt 1951).
Begründung: »Die gottgegebene, naturrechtliche Ordnung darf die einzelnen und die Völker in keiner Weise ohne rechtliche Hilfe lassen, so daß die rechtlose Gewalt keine rechtliche Schranke gegen sich hätte. Ver aber den aktiven Widerstand unter allen Umständen als unerlaubt verurteilt, verweigert dem Volke das Recht zur Anwendung wirksamer Mittel gerade in der höchsten Not, wenn es nämlich von seiner eigenen Regierung zu Grunde gerichtet wird (M. Pribilla, in: Stimmen der Zeit 141 (1948) S. 420). Nach mittelalterlicher Auffassung und Praxis hatte der Papst das Recht, die Untertanen von ihrer Verpflichtung zur Untertänigkeit zu entbinden, wenn der Herrscher das Allgemeinwohl oder die Rechte der Religion schwer verletzte. Nach allgemeiner Auffassung hat das Volk selber das Recht, einen Wahlkönig beziehungsweise eine gewählte Regierung abzusetzen, wenn diese sich nicht an die bei der Wahl eingegangenen Verpflichtungen halten. Daraus folgert pribilla mit Theodor MEYER (Th. Meyer, Institutiones juris naturallsII. Freiburg 1900) und MAUSBACH (Staatslexikon Freiburg 1927, Bd. II, 402 ff.): »Wenn der gebrochene Vertrag den Ständen das Widerstandsrecht gegen den Gewaltherrscher gibt, sollte das, was positive, geschriebene Dokumente vermögen, nicht in höherem Maße das gottgegebene, natürliche Recht des Volkes zu leisten imstande sein? Jedenfalls scheint es widersinnig, dem einzelnen das Recht der Notwehr unbedenklich zu gestatten, der Gesamtheit aber das unter den gegebenen Uniständen einzig wirksame Rechtsmittel zur Behebung eines äußersten Notstandes - nämlich die Unschädlichmachung des seine Gewalt mißbrauchenden Herrschers - zu verweigern« (Stimmen der Zeit 141 (1948) S. 421).

Pribilla stellt für die Erlaubtheit des aktiven Widerstandes folgende Bedingungen auf:
(1) Der aktive Widerstand kommt nur in Frage bei außerordentlich großem Mißbrauch der Staatsgewalt, wenn zum Beispiel die allerwesentlichsten Freiheitsrechte unterdrückt, das Recht durch Gewalt, das Gemeinwohl durch Parteienwirtschaft völlig verdrängt wird.
(2) Der aktive Widerstand ist erst nach Erschöpfung aller friedlichen Mittel erlaubt.
(3) Es muß eine begründete Sicherheit vorhanden sein, daß sich der aktive Widerstand tatsächlich durchsetzen kann und daß voraussichtlich die Zustände nicht durch ihn noch verschlimmert werden.
(4) Es darf nur soviel Gewalt angewendet werden, als die Abstellung der Übel erfordert. (Pribilla sagt: »Der Sicherheit halber aber eher zu viel als zu wenig« (l.c. S. 422)).
Die Entscheidung über das Recht und die Anwendung des aktiven Widerstandes kann nie Sache irgend eines Privatmannes sein, sondern nur der Urteilsfähigen und Berufenen, die imstande erscheinen, den Widerstand erfolgreich durchzuführen. Die dazu Fähigen und Berufenen sind bei der äußersten Not ihres Volkes wohl auch dazu verpflichtet, selbst bei größter persönlicher Gefahr.
Die Vertreter des aktiven Widerstandsrechtes gegen ein ungeregeltes Gewaltregime können sich zweifellos auf Papst Plus XI. berufen, der in seinem Rundschreiben Firmissimam constantiam vom 28.3.1937 (AAS 29 (l 937) p. 196 ss.) billigend, wenn auch vorsichtig und unter Betonung der notwendigen Einschränkungen, von einer solchen Auffassung redet. Die Haltung der spanischen Bischöfe 1936 und ihr gemeinsamer Hirtenbrief vom 1. 7.1937 steht eindeutig auf dieser Linie.

Praktisch wird ein aktiver Widerstand unter Einhaltung der genannten Bedingungen sehr selten möglich sein. Darum gilt der Grundsatz:
»Widerstehet den Anfängen! Sonst kommt die Heilung zu spät«. Der Christ muß sich rechtzeitig um die Politik kümmern.
Vielfach bleibt den Christen gegenüber einem tyrannischen Regime nur die Waffe der Geduld und des Gebetes.
Von der Frage des aktiven Widerstandsrechtes ist wohl zu unterscheiden der »Tyrannenmord« oder die »Tyrannentötung«:
Die Tötung des Tyrannen kann im Verlauf des aktiven Widerstandes des Volkes aus zwingender Notwendigkeit geschehen, wenn sonst keine Aussicht auf den Erfolg der gerechten Sache bestünde oder wenn die Kampfhandlungen dazu führen.
Aber es kann sicher nicht das Recht irgend einer Privatperson sein, auf eigene Faust den Gewaltherrscher zu töten, auch wenn sie überzeugt ist, daß diese Herrschaft von Anfang an oder durch den schweren Mißbrauch der Gewalt unrechtmäßig ist. Denn keine Privatperson hat das Recht, über einen ändern die Todesstrafe zu verhängen, soweit es sich nicht um die aktive Notwehr handelt.
Noch viel weniger als die Ermordung des Gewaltherrschers auf privaten Entschluß hin (beziehungsweise ohne die Möglichkeit, dadurch eine geordnete staatliche Obrigkeit einzusetzen) ist die Ermordung politisch unliebsamer Gegner erlaubt, auch wenn man noch so sehr davon überzeugt sein sollte, daß diese ein Unglück für das Volk bedeuten.

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