Stecher, Wojtyla-Protestbrief Nr. 1 

Da ich mir einmal vorgenommen habe, kirchenkritisch notwendige Dinge nicht als "mutiger Pensionist", sondern im Amt zu sagen, komme ich nicht daran vorbei, zu diesem Dekret einige Gedanken zu äußern, bevor ich den Stab weitergebe. Nicht so sehr zu den Details. Da werden ja Dinge ausgesprochen, die festgehalten werden müssen. Es gibt nun einmal den mit der Vollmacht zur Eucharistie ausgestatteten Priester - und diese Vollmacht kann sich niemand nehmen oder von unten her bestätigen lassen. Und es ist richtig, daß es in diesem Bereich bedauerlichen Wildwuchs gibt, wenn sich das auch in dem in Rom so oft schlecht gemachten Österreich in Grenzen hält. Kritisch könnte man zu den Details nur sagen, man sollte auch im Unterschied von Priester und Laien nicht alles in einen Topf werfen. Es ist ein Unterschied, ob man z.B. die eucharistische Vollmacht verteidigt oder die Vollmacht, im Gottesdienst zu predigen. Wenn es - wie heute häufig - zwar noch gelingt, von irgendwoher einen alten Priester für die Eucharistie "einzufliegen", dann ist schwer einzusehen, daß man einem theologisch vollausgebildeten und menschlich-spirituell geeigneten Gemeindemitglied verbieten muß, in der Eucharistiefeier eine Predigt zu halten (über Allerheiligen-Allerseelen mußte neulich mein Generalvikar allein sieben Gemeindegottesdienste als aushelfender Priester feiern!). Ich bin durchaus dafür, daß zur Verkündigung jemand kirchlich bevollmächtigt sein muß. Aber die Verkündigung in der Eucharistiefeier zu streichen, weil man für eine Ansprache unbedingt geweiht sein muß, ist eine andere Sache. Niemand in den Gemeinden versteht ein derartiges Verbot, wenn die Alternative das Nichts ist.

Und hiermit stehe ich bei meinem eigentlichen Bedenken gegen dieses wiederum nur restringierende Dekret, das den Laien, den Kommunionhelfer usw. höchstens als widerwillig zugelassenen Notnagel für ein paar Funktionen sieht, wenn's halt gar nicht anders geht. Mein Bedenken liegt in dem "Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen" der pastoralen Situation bei uns und in vielen, ja den meisten anderen Ländern der Erde - und in dem "Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen" der theologischen Bedeutung der Eucharistie für die christliche Gemeinde und die Kirche. Zu letzterem spricht in großer Klarheit der Artikel von Wolfgang Beinert in Heft 11 der "Stimme der Zeit", Jahrgang 1997, Seite 736 ff.

Um das Dilemma dieses Dekrets etwas plastischer darzulegen: Im Land Tirol erhob sich vor einiger Zeit das Problem, daß bei der Betreuung der vielen Zuckerkranken in den Wohnungen und Altersheimen nur Diplomschwestern berechtigt waren, die entsprechenden rettenden Spritzen zu verabreichen. Von diesen ausgebildeten Diplomschwestern gibt es natürlich viel zu wenig. Die Standesgruppe der Diplomschwestern hat natürlich aus verschiedenen Gründen dieses Standesrecht verteidigt, aber mit dem Blick auf die Volksgesundheit wurde dann doch entschieden, daß entsprechend ausgebildete Altershelfer/innen und Betreuer/innen diese Spritzen geben dürfen.

Die Kinder der Welt sind wahrhaftig klüger als die Kinder des Lichts. Bei uns geht es auch um das Heil, allerdings um das Heil mit einer Dimension in die Ewigkeit. Und bei uns ist es auch so, daß Diplomhelfer (Priester) viel zu wenige sind und angesichts unserer klerikalen Alterspyramiden immer weniger werden. Und es ist weiterhin klar, daß bei der Forderung eines glaubhaft gelebten Zölibates diese Zahl immer klein sein wird. Für den redlich gelebten Zölibat ist nun einmal verlangt, daß der Betreffende den sexuellen und partnerschaftlichen Verzicht in einer gesunden, nicht verdrängenden Weise umformt in spirituelle, pastorale, soziale, geistige, dienende und kreative Entfaltung. Das ist und bleibt aber die Sache derer, "die es fassen können". Und selbst in den Worten Jesu liegt keine Spur einer Andeutung, daß diese elitäre Zahl den pastoralen und theologischen Notwendigkeiten einer lebendigen Kirche entsprechen muß. In unserer Zeit und ihrem Klima ist es noch einmal schwieriger, dem zu entsprechen, wie z.B. in den Zeiten der Verfolgung durch den Nazismus, in die meine Berufung gefallen ist.

Es ist immer etwas problematisch, wenn man an den göttlichen Heilsabsichten und dem tiefsten theologischen Wesen des Sakraments vorbei menschliche Ordnungen verabsolutiert.

Das genannte Dekret über die Laien begnügt sich also mit der Verteidigung der "Diplomschwestern und Diplompfleger", will sagen der klerikalen Vollmachten, Würden und Standesrechte. Die Volksgesundheit, d.h. das Heil der Gemeinden, bleibt völlig aus dem Spiel. Für diese Gemeinden hat man eigentlich stillschweigend schon längst einen Heilsweg ohne Sakramente entworfen - was wiederum jeden auch nur in einer seriösen scholastischen Theologie Gebildeten den Kopf schütteln läßt. Die Heilsnotwendigkeit der Sakramente der Eucharistie und Buße bzw. der Kranksalbung wurde dort sehr eindrucksvoll definiert.

Aber hier stoßen wir wiederum auf das Dilemma, wenn man die Bedingungen für das eucharistische Amt in keiner Weise vom Heil der Gemeinden her definiert, sondern nur von individuellen Zulassungsbedingungen, die zum Teil eben rein menschlichen Rechtes sind, aber eben ohne jeden Blick auf den allgemeinen Heilswillen Gottes und die wesentlich eucharistische Struktur der Gemeinde durchgezogen werden. Dem Festhalten an diesem Amtsbegriff, der eben so nicht aus der Offenbarung erwiesen werden kann, wird alles geopfert. Vor einiger Zeit hat mir ein wegen seiner konservativen Gesinnung bekannter Bischof lächelnd gesagt: "Ach, bei uns hat jeder Priester drei Pfarren - das geht ganz ausgezeichnet..." Der betreffende hohe Würdenträger hat allerdings in seinem Leben nicht einmal eine Pfarre geleitet, geschweige denn mehrere. Wenn er es getan hätte, wäre er mit einer derart kühnen Analyse wahrscheinlich etwas vorsichtiger. Ich habe in Frankreich Priester, müde und resignierende Priester, kennengelernt, die sieben bis zehn Pfarren herumrasend "betreuen". Auch wenn solche Priester hervorragend theologisch gebildet sind, haben sie keine Chance, je in höheren Etagen mitreden zu können. Der Stand der kleinen Frontpfarrer wird von der bischöflichen Würde ebenso ferngehalten wie von jeder Mitsprache in diesem Bereich. So werden die Erfahrungen und Frustrationen nur von wenigen Bischöfen wahrgenommen und nach oben getragen. Nach unten begnügt man sich bestenfalls mit verständnisvollen Seufzern und einer bewegten Klage über fehlende christliche Familien, die eben zölibatäre Berufe in genügender Anzahl zu fabrizieren hätten. Und weiter oben begnügt man sich mit der Zementierung vorhandener Ordnungen wie im vorliegenden Dekret. Die Not dahinter ist kein Thema.

Wenn beim Dialog für Österreich das Thema kommen wird (falls es nicht gelingt, es schon vorher in einen Winkel zu verbannen), wird man mit souveräner Würde darauf hinweisen, daß dieses Thema eindeutig eine Sache der Weltkirche sei (was ja stimmt) und daher österreichische Gläubige, Gemeinden, Seelsorger und Verantwortungsträger nichts angehe.

Ich sage diese Dinge nicht, weil ich gegen den Zölibat bin oder weil ich mir etwa einbilde, mit dem Stand der "viri probati" gäbe es keine Schwierigkeiten. Die gibt es überall, wo Menschen sind. Es ist überhaupt eine unbewußte oder bewußte Fälschung, die hier vorgebrachte Frage als einen Disput über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen darzustellen. Die steht nicht in Frage. Das Bestürzende liegt darin, daß die derzeitige Kirchenleitung einfach ein theologisches und pastorales Defizit aufweist, so peinlich das zu sagen ist. Das Amt in der Kirche ist von seinem biblischen Verständnis her ein dem Heile dienendes Amt und kein sakraler Selbstzweck, dem es völlig gleichgültig sein kann, ob Millionen und Abermillionen von Christen überhaupt je die Möglichkeit haben, heilsstiftende Sakramente zu empfangen und die Mitte ihrer Gemeinschaft, die biblisch und dogmatisch die Eucharistie ist, in einer menschlich erlebbaren Weise zu pflegen. Es heißt eben immer noch: "Propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis" und nicht "propter nostram auctoritatem et propter stricte conservandas structuras ecclesiasticas descendit de coelis..."

Und man sollte nicht davon ausgehen, daß die Laien und der Großteil der Seelsorgspriester in Österreich diese Dinge nicht zu durchschauen imstande sind und daß man sie einfach bei einem Dialog, der ehrlich gemeint sein sollte, als nichtkompetent abwimmeln kann. Diesen Laien und eben diesen Seelsorgern verdanken wir zu einem guten Teil im höherem Maße, daß es eine Kirche Österreichs noch immer und trotz allem gibt - als manchen römischen Dekreten...

Die Tendenz, menschliche Ordnungen und Traditionen höher zu werten als den göttlichen Auftrag, ist das eigentlich Erschütternde an manchen Entscheinungen unserer Kirche am Ende dieses Jahrtausends. Es scheint z.B. niemanden in den höchsten Gremien zu beunruhigen, wenn buchstäblich Hunderte von Millionen Katholiken gar nicht mehr zu den moralisch heilsnotwendigen Sakramenten der Vergebung kommen können (-und weil sie nicht kommen können, nach einer Generation auch gar nicht kommen wollen). Die Krankensalbung hätte heute eine Chance - übrigens auch in der Umwelt einer stärker ganzheitlich-menschlichen Medizin. Aber der sich im Sakrament zu den Kranken neigende Christus kann auf Grund der zölibatär-restriktiven Vollmachtserteilung eben zu Millionen gar nicht kommen. Daß die großzügig verfügte regionale Pfarr-Zusammenlege-Praxis eine liebevoll begleitende sakramentale Krankenpastoral unmöglich macht, stört die kirchliche Zentralgewalt in keiner Weise. Und dabei ginge es wirklich um das Heil, das ewige Heil.

Am bedenklichsten ist für mich nach wie vor in dieser Frage der Mißachtung göttlicher Weisungen der Umgang mit Priestern, die geheiratet haben. Aus eigener Anschauung weiß ich, daß Gesuche, die der Bischof mit dringenden, pastoral und menschlich begründeten Bitten einreicht, zehn Jahre und mehr gar nicht angeschaut werden. Auch das neueste Dekret ändert diese Praxis nur marginal. Es handelt sich -wohlgemerkt - nur um Bitten der Versöhnung mit Gott und der Kirche, um die Möglichkeit, eine christliche Ehe zu führen und machmal auch um die Möglichkeit, nichtpriesterliche Dienste auszuüben. Auch hier gibt es nur das unbarmherzige Nein. Und nun wiederum: Was hat der Herr gesagt? Hat er nicht die Pflicht zur Verzeihung und zur Versöhnung durch alle Lehren und Gleichnisse, Taten und bis zu den Gebeten am Kreuz zur höchsten ethischen Pflicht gemacht? Hat er nicht dieses Gesetz des Verzeihenmüssens mit der härtesten Sanktion belegt? Hat er nicht gesagt: "wer nicht verzeiht, dam wird nicht verziehen"? Hat er nicht dem Petrus persönlich eingeschärft, daß er nicht siebenmal, sondern siebenmal siebzigmal am Tage verzeihen sollte? Diese Stelle scheint in römischen Dekreten nie auf, nur Matthäus 16,18. Alle die, die da so ihre Liebe zum Papst betonen und sich als die Papsttreuen belobigen lassen - müßten sie angesichts der Worte des Weltenrichters nicht erschrecken, wenn ein Papst mit Tausenden von abgelegten Gesuchen und Bitten um Versöhnung stirbt? Was tun wir an einem Sterbebett, wenn wir wissen, daß der betreffende Versöhnung verweigert? Versuchen wir nicht, ihn zur Milde zu bringen, weil es auch um sein ewiges Heil geht? Und was hielten wir von einem Priester, der zu einem Beichtenden sagten würde: "Bei Deiner Art von Sünde -komm in zehn Jahren wieder, vielleicht bin ich dann geneigt, Dir die Versöhnung zu gewähren? Ist nicht theologisch evident, daß die Verweigerung von Verzeihung und Versöhnung die viel größere Sünde ist als die Verletzung des Zölibats? Die zweite betrifft ein menschliches Gebot und ist eine Sünde der Schwachheit, die erst ein göttliches und ist eine Sünde der Härte. Oder glaubt man vielleicht, juridische Handhabungen in der Kirche unterstünden nicht den Geboten Jesu? Nimmt man etwa an, daß in der Ordnung des Weltenrichters Schreibtischtäter besser fahren als Detailsünder?

Auch hier zeigt sich diese immer wieder auftauchende Tendenz, die Weisung Jesu kirchlichen Verwaltungspraktiken und menschlicher Autoritätsausübung unterzuordnen.

In diesen Vorgangsweisen liegt auch die eigentliche Einbuße der päpstlichen Autorität. Denn diese für die Kirche so notwendige Autorität leitet ihr Gewicht nur von der Übereinstimmung mit Christus her, wie es ja auch im innersten Wesen der Unfehlbarkeit zum Ausdruck kommt. Aber die Geschichte lehrt, daß auch die Praxis des höchsten Amtes von der Sache Jesu abirren kann. Diese heute gängigen Praktiken gegenüber Einzelsündern widersprechen dem Geiste Jesu genau so wie einst die Bannstrahlen und Interdikte gegen ganze Länder und Städte. Und ich weiß, daß viele Priester und Laien, die ihr Christsein ernst nehmen, unter diesen Widersprüchen leiden und sich nach einem Papst sehnen, der in dieser Zeit vor allem die Güte verkörpert. So wie das derzeit ist, hat Rom das Image der Barmherzigkeit verloren und sich das der repräsentativen und harten Herrschaft zugelegt. Mit diesem Image wird die Kirche im dritten Jahrtausend keinen Stich machen - da ändern pompöse Millenniumsfeiern mit vielen schönen Worten gar nichts. Es geht um Akzentverschiebungen in einigen entscheidenen Punkten der pastoralen Praxis, sowohl was den Umgang mit dem allgemeinen Heilsauftrag Jesu als auch den Umgang mit dem Sünder betrifft.

Und es darf um der Kirche willen nicht so sein, daß man von höchster Stelle wohl um jeden Splitter an der Basis bemüht und besorgt ist, aber den Balken im eigenen Auge nicht sieht.

Auch wenn ich diese in die pharisäische Auseinandersetzung der Schrift hineinreichenden Defizite unserer heutigen Kirche beim Namen nenne, nehme ich von meiner Hoffnung auf das Walten des Geistes und die Zukunft der Sache Jesu nichts zurück. Aber die Sensibilisierung für die wahren Intentionen muß in unserer Kirche deutlicher werden. Das Abirren von solchen Grundsätzen hatte in der Vergangenheit schwerwiegende Folgen. Auch in dieser Hinsicht müßte die Besinnung des Millenniums Einsicht bringen.



Stecher, Wojtyla-Protestbrief Nr. 2


Versuch einer Antwort auf die im Zusammenhang mit meinem Statement von österreichischen Bischöfen und anderen verbreiteten Vorwürfe. Soweit ich diese Äußerungen überblicken kann, hat bei einigen Mitbrüdern im Amte eine Sache die größte Empörung ausgelöst: Meine Feststellung, daß die derzeitige Praxis des regierenden Papstes gegenüber den Priestern, die am Zölibat gescheitert sind, der Forderung Jesu nach Verzeihung und Barmherzigkeit nicht entspräche. Es kann also - über alle rhetorischen Formen der Entrüstung hinweg - nur um die eine Frage gehen: Ob das wahr ist oder nicht.
Eine Vorbemerkung zur Frage der "Öffentlichkeit" meiner Aussagen.
Da auch von Bischöfen anderes behauptet wurde, stelle ich noch einmal fest: Mein Statement war an einen verhältnismäßig kleinen Kreis gerichtet. Meine Absicht war es, meine Meinung zu dem "Dekret über die Mitarbeit der Laien" wenigstens einigen kompetenten Leuten zu sagen, weil ich daran interessiert war, daß der eine oder andere vielleicht doch meine Bedenken auch ins Spiel bringen könnte. Ich wußte ja, daß ich wenige Tage später mein Amt niederlegen würde. Wenn ich an eine breite Öffentlichkeit gedacht hätte, wäre es mir nie eingefallen, einen Text mit lateinischen Sätzen zu versehen. Ganz abgesehen davon wäre es mir ein Leichtes, von meinem Sekretariat her zu beweisen, daß ich niemals an Veröffentlichung dachte. Trotzdem wird mir diese Absicht von Mitbrüdern unterstellt.
Ich habe mit der Veröffentlichung dieses Statements genau so viel zu tun wie mit der Veröffentlichung jenes Briefes im Jahre 1997, den ich unter "vertraulich" und "eingeschrieben" an die Mitglieder der Österreichischen Bischofskonferenz sandte und den dann ein Bischof der Zeitschrift "News" zugespielt hat.
Genauso lief es bei der Veröffentlichung der Kandidatenliste für die Nachfolge in Innsbruck, die ich "sub summo sigillo" nach Rom gesandt hatte (wobei in der eigenen Diözese weder ein Generalvikar noch ein Sekretariat irgendeine Ahnung hatte). Etwa acht Monate vor der tatsächlichen Ernennung hat die Zeitung "Die Presse" die Namen veröffentlicht. Auf Rückfrage unseres Presseamtes, woher sie diese Information hätte, erklärte die Redaktion der "Presse" freimütig: "Wir haben eine Stelle im Vatikan, auf die wir uns immer verlassen können." Angesichts derartiger Formen innerkirchlicher Diskretion mir auf den Kopf zuzusagen, ich hätte natürlich von vornherein die Veröffentlichung intendiert, gehört zu den Feinheiten dieser Affäre.
Ich habe meine Gedanken natürlich nicht mit einem "päpstlichen Sigill der Geheimhaltung" versehen können (das auch nichts nützt). Wahr ist, daß ich nach der Veröffentlichung erklärt habe, daß ich von meiner Aussage nichts zurücknehme. Und dabei bleibe ich.
Eine Vorbemerkung zur Behauptung, "ich hätte meine Vorwürfe nicht an der richtigen Stelle angebracht".
Beide Anliegen, sowohl die Frage der Priesternot, des vir probatus wie auch des Dispensproblems, habe ich schon längst bei den höchsten Stellen mit Deutlichkeit vorgebracht: Die Notwendigkeit der Änderung der Zulassungsbedingungen zur Weihe mit dem Blick auf heilsnotwendige Sakramentenpastoral habe ich vor fünf Jahren dem heiligen Vater in einer Privataudienz persönlich gesagt. Die entsprechenden Bitten des Diözesanforums habe ich nach Rom weitergeleitet. Die Frage der Dispens für verheiratete Priester habe ich in aller Deutlichkeit mündlich in der zuständigen Kongregation vorgebracht, nachdem ich durch Augenschein festgestellt hatte, daß die zehnjährige Zurückstellung eines von mir abgegebenen Gesuches Tatsache war (natürlich mit unzähligen anderen aus der Welt). Für die oberste Kirchenleitung in Rom hat also mein Statement sachlich nichts Neues gebracht. Auch in der österreichischen Bischofskonferenz gibt es genug Zeugen, die wissen, daß ich für diese beiden Dinge immer eingetreten bin.
Die derzeitige Handhabung der Dispens für verheiratete Priester
Unter Papst Paul VI. wurde praktisch eine Frist von zwei Jahren für die Dispenserteilung anberaumt - eine sehr vernünftige Distanz, die sich rückwirkend, wie ich noch darlegen werde - als pastoral positiv herausgestellt hat. Die am Zölibat Gescheiterten sollten nach einer Zeit der Besinnung, die auch unterstrich, daß es sich um keine Formalität handele, die Möglichkeit erhalten, mit Frau (und Kind) ein christliches Ehe- und Familienleben aufzubauen.
Diese Praxis wurde unter dem gegenwärtigen Pontifikat radikal geändert. Die Dispens wurde auf ein bestimmtes Lebensalter hinaufgeschoben, was Fristen von zehn und mehr Jahren nach sich zog. In vielen Fällen wurde damit die Einreichung eines Gesuches sinnlos - und sicher werden in vielen Fällen gar keine Gesuche mehr eingereicht (statistisch wird man das wahrscheinlich als "Erfolg" verkaufen).
Die Verantwortung für diese Regelung liegt zweifelsohne beim Papst selbst (womit ich nichts über seine Motive sagen kann). Aber ich lehne es ab, mich hier ablenkend auf eine "vatikanische Bürokratie" hinauszureden. Das ist ebenso ungerecht, wie Finanzbeamte für eine Steuergesetzgebung verantwortlich zu machen. Ich habe bei den "Bürokraten" sogar eine menschlich betroffene und verständnisvolle Haltung angetroffen, wie ich an das Gebot Christi erinnert habe. Es wurde mir aber auch klar bedeutet, daß allerhöchste Weisung vorliege.
Aussicht auf frühere Erledigung besteht nur dann, wenn nachgewiesen wird, daß der betreffende Priester schon bei der seinerzeitigen Abgabe des Zölibatsversprechens dieses entweder nicht ehrlich gemeint habe oder unter irgendwelchen Zwängen gestanden sei oder überhaupt unter psychischen Störungen leide. (Man handelt hier also in Parallelität zu einem Ehe-Ungültigkeitsverfahren). Zwänge oder schwere psychische Belastungen könnten ja überhaupt auch die Gültigkeit der Weihe in Frage stellen - und es ist sicher begrüßenswert, wenn man da die Konsequenzen zieht. Aber andererseits ist es auch eine Tatsache, daß Gesuche in diese Richtung frisiert werden, und es auch von den Betroffenen als unredlich empfunden wird, wenn sie gestehen müssen, daß sie damals charakterlich bedenklich gehandelt hätten oder irgendwie nicht normal seien.
Wenn manche Bischöfe erklären, die Praxis "sei nicht so" oder erzählen, daß man über entsprechend einflußreiche Kreise im Vatikan eine günstigere Beurteilung eines Gesuches erreichen könne - dann muß ich darauf aufmerksam machen, daß derartige "Hintertüren" und "Beziehungen" die Sache in keiner Weise besser aussehen lassen.
Die Gründe, warum mir die langjährige Verweigerung der Versöhnung mit der Kirche und mit Gott das Gebot Jesu zu verletzten scheint:
1. Pastorale Gründe
Um was in den sicher Tausenden von Gesuchen gebeten wird, ist nur die Möglichkeit für den gescheiterten Priester, nach einer gewissen Besinnungszeit im Frieden mit Gott und Kirche eine christliche Ehe führen zu können. Wenn dies über so große Zeiträume verwehrt wird, ist der Betreffende (mit seiner Frau) gezwungen, sein religiöses Leben sozusagen außerhalb der Kirchengemeinschaft zu führen. Er muß - wie es ein Betroffener mir gegenüber einmal gestanden hat - sein Verhältnis zu Gott auf die Hoffnung bauen, daß dieser barmherziger als die Kirche sei und ihm eben eine Chance ließe. An sich müßte man ja davon ausgehen, daß das Scheitern am Zölibat keineswegs ein Scheitern im Glauben bedeutet. Die derzeitige Verweigerungspraxis hat besonders schwerwiegende Auswirkungen bei den Frauen bzw. bei den Kindern. Wenn letztere später draufkommen, warum die von ihnen geliebten Eltern nie zu den Sakramenten gehen dürfen, ist die Kirche für sie in vielen Fällen gestorben. Es fällt mir schwer, über diese kirchlich fast erzwungenen Wege der Entfremdung und Abstoßung mit jener Gleichgültigkeit hinwegzugehen, die in manchen bischöflichen Aussagen der letzten Wochen zum Ausdruck kommt.
Zur Unterstreichung von negativen und positiven Folgen der Dispenspraxis erlaube ich mir eine Erfahrung einzufügen:
Ich habe als Bischof alle Priester der Diözese Innsbruck auf einen Tag eingeladen, die im Verlauf der letzten 35 Jahre das Amt aus obigem Grund verlassen haben. Sie sind mit Ausnahme jener, die zwingend verhindert waren, alle gekommen. Sie haben im Gesprächskreis alle ihre Lebensgeschichte geschildert. Es wurde für mich zu einem sehr bewegenden Tag. Natürlich sind die Schwierigkeiten und Verletzungen zur Sprache gekommen, aber es hat niemand das Amt eingefordert, das man eben unter der Zölibatsbedingung angetreten hatte. Es hat sich aber herausgestellt, daß alle, die die Dispens in angemessenem Zeitraum erhalten hatten, mit ihren Familien aktiv in der Kirche standen und stehen. Zum Teil haben sie als Pfarrgemeinderatsvorsitzende in priesterlosen Gemeinden das kirchliche Leben weitergetragen, oder sie waren im Unterricht, im Bildungs- oder im Sozialbereich tätig. Bei denen, die in die Epoche der Verweigerung kamen, blieb nichts als die Entfremdung und Verbitterung. Und wenn sich solche Haltungen durch Jahre eingefressen haben, sind sie schwer zu überwinden. Ich habe einen Bericht über diese Begegnung nach Rom gesandt. Er dürfte in einer Ablage sein endgültiges Ziel gefunden haben, wenn er es bis dorthin geschafft hat. Aber man muß sich dann doch in allem Ernst fragen -was ist nun das Ziel einer Pastoral - das geknickte Rohr zu brechen oder es aufzurichten?
Möglicherweise hat man sich in Rom von der harten Linie der Verweigerung eine motivierende Festigung der zölibatären Lebensform erwartet. Aber dazu muß man doch bedenken:
Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen kann nur von einer entfalteten Kultur der Liebe zu Gott und den Menschen leben.
Disziplinäre Maßnahmen oder Androhungen werden deshalb auch zur Motivation der Getreuen oder der Schwankenden wenig beisteuern. In der Pädagogik weiß man schon längst - und zwar empirisch - daß nicht vindikative, sondern bejahende, fördernde, zuwendende Umgangsformen Motivation bewirken.
Die langjährige Verweigerung birgt außerdem zwei Gefahren: Es wird sinnlos, ein Gesuch einzureichen. Diese Aussichtslosigkeit verstärkt die Entfremdung. Es könnte aber auch sein, daß ein in Schwierigkeiten steckender Mitbruder offiziell im Amt bleiben und eben ein Doppelleben führt, in ständigem Widerspruch zu seinem Versprechen. Sowohl spirituell als auch psychologisch betrachtet, ist ein derartiger Zustand schlechter und heilsgefährdender als das Fällen einer ehrlichen Entscheidung, auch wenn sie zur Amtsniederlegung führt. Wenn in einer Diözese ein Geist der Hilfsbereitschaft herrscht, dann ist mehr Chance gegeben, daß eine solche Krise mit Bischof oder Stellvertreter offen besprochen wird und vielleicht auch positiv überwunden werden kann. Angedrohte Überstrenge hat dieselbe Wirkung wie angedrohte Verstoßung aus der Familie durch überstrenge Eltern. Da wird es auch kein Gespräch mehr geben.
Ich vermag in der derzeitigen Regelung keinerlei pastoral-positiven Sinn zu erkennen. Die angedrohte Versöhnungsverweigerung ist der Löschhut für glimmende Dochte - man kann es anders nicht sagen.
2. Moraltheologische Gründe
Auch von moraltheologischer Seite her betrachtet, scheint mir die jahrzehntelange Verweigerung der Dispens unangemessen. Vielleicht kann ich das wieder mit einer seelsorglichen Erfahrung unterstreichen:
Ich habe in meiner Diözese etwa 40.000 Beichten im Laufe meiner seelsorglichen Tätigkeit gehört, weil ich sehr viel als Beichtvater unterwegs war. Ich habe Ehebrecher, Glaubensabtrünnige, Kirchenverfolger, Betrüger, Diebe und sogar Mörder losgesprochen. Aber einem Priester, der geheiratet hat, konnte und kann ich den Frieden der Seele nicht geben - auf Jahre hinaus nicht. Er ist schlechter dran als ein Mörder. Und bei aller Hochschätzung des Zölibatsversprechens und ohne jede Absicht, es zu bagatellisieren - Mord, Abtreibung und Glaubensabfall sind größere Sünden.
Deshalb spreche ich von der moraltheologischen "Unangemessenheit" derartiger Praktiken. Ein weiterer moraltheologischer Widersinn scheint mir darin zu liegen, daß das redliche Eingeständnis von Schuld nicht "strafmildernd", sondern eher "strafverschärfend" wirkt. Ich demonstriere das wiederum an einem erlebten Beispiel:
Ein an sich in seiner Gesamthaltung sehr positiv zu beurteilender Priester, der aus dem angegebenen Grund sein Amt niedergelegt hat, hat folgendes geschrieben: "Ich sage nichts gegen den Zölibat. Ich halte ihn für eine gute Sache. Ich sage auch, daß ich damals, als ich das Versprechen abgab, es durchaus redlich meinte, keine Vorbehalte machte und unter keinem Zwang stand. Ich muß nur gestehen, daß ich es nicht geschafft habe...".
Mit dieser sehr ehrlichen Aussage, mit der er seine Schuld eingesteht, hat er sich in Wirklichkeit den Weg zur Dispens verbaut. Wenn er durchblicken lassen hätte, daß er schon damals die Dinge auf die leichte Schulter genommen hätte und ihm beim Versprechen nicht ganz ernst gewesen wäre und er ohne klare Entscheidung zur Weihe gegangen sei - dann hätte er eine Chance. Dann könnte man nach formalistischen und eben nicht moralischen Grundsätzen eine Ungültigkeit des damaligen Versprechens konstruieren. So aber hat er einfach gesagt: Ich gebe zu, ich bin schuld - ich hab's nicht geschafft. Und wiederum widerspricht es jedem ethischen Empfinden, wenn jetzt eben sein Gesuch mit den vielen anderen in einer römischen Stellage steht, und unter seinem Einreichungsjahr 1995 mit großen Lettern hingemalt ist "2005". Und man hätte diesen Mann mit bestem Gewissen in kirchliche Dienste nehmen können.
3. Soziale Gründe
Normalerweise ist es heute in den meisten Staaten der Erde für einen Mann mittleren Alters nicht leicht, einen Beruf zu finden. Sogar wenn er eine entsprechende Ausbildung hat, wird er bei der Postenvergabe von Jüngeren sehr leicht überrundet. Je höher das Alter ist, um so aussichtsloser wird es. Daher kommt heute meistens der verheiratete Priester mit seiner Familie in eine schwierige Lage (früher war das einfacher - da gab es immer wieder Lücken und Nischen, in denen man einen Broterwerb finden konnte). In anderen Ländern verschärft sich die Lage noch. Das wird überall dort gelten, wo die Kirche sehr geringe Mittel hat (in Brasilien gibt es nach mir vorliegenden Berichten etwa 5000 verheiratete Priester). In Italien haben viele Priester ihr Abitur in einem kleinen Seminar gemacht, dessen Abschluß keine staatliche Anerkennung hat - d.h. der Priester, der sein Amt niedergelegt hat, steht mit einem Pflichtschulabschluß in der Gesellschaft. Vor mir liegt der Brief eines Priesters aus Italien: "Mein Fall ist sicher typisch für viele. Ich habe jetzt 13 Jahre auf die Dispens gewartet. In meiner Not habe ich versucht, einen Posten als Sakristan zu bekommen. Er wurde mir mit dem Hinweis verwehrt, ich sei ja nicht kirchlich verheiratet und könne daher im Rahmen der Kirche nicht angestellt werden."
Wird hier die Verweigerung nicht zum Zynismus? Dieselbe Kirche, die verhindert, daß er kirchlich heiraten kann, verweigert ihm eine sicher bescheidene Existenz mit der Begründung, er sei nicht kirchlich verheiratet. Wie verträgt sich das eigentlich mit den so oft zitierten Grundsätzen eines christlichen Familienethos? Liegen in derartigen Widersprüchen nicht die Wurzeln von Unglaubwürdigkeit? Und will man wirklich behaupten, hier ginge "kein Image von Barmherzigkeit" verloren? In unseren Breitengraden könnte man auch heute noch sehr oft einen verheirateten Priester mit gutem Gewissen im Bildungs- oder Sozialbereich der Kirche unterbringen. Die langjährige Verweigerung der Dispens verhindert das alles. Man kann nicht zehn Jahre und länger auf einen Posten warten.
4. Theologische Gründe
Angesichts des noch zu betrachtenden biblischen Befundes ist es natürlich schwierig, theologische Begründungen für die jahrelange Versöhnungsverweigerung anzubieten. Theologie hat ja etwas mit Auslegung oder Offenbarung zu tun. Bischof DDr. Klaus Küng, dessen Aussagen sich auch einige andere Bischöfe angeschlossen haben, versucht eine theologische Begründung für die Dispensverweigerung zu geben. Er weist darauf hin, daß das Zölibatsversprechen ähnlich wie das Eheversprechen zu sehen sei. Darum stehe der Ruf nach Barmherzigkeit gegen die "Wahrheit", die "Wahrheit" sei eben, daß dieser Priester sein Versprechen gebrochen habe (was ja niemand leugnet). Und deshalb sei die restriktive Praxis dieses Pontifikates berechtigt.
Dieses "theologisches Argument" ist aber nicht haltbar. Die Kirche hat die Unauflöslichkeit der Ehe im strengen Sinn immer mit der Sakramentalität begründet und nur die gültig vollzogene sakramentale Ehe für unauflöslich gehalten. Man kann doch nicht die Verbindlichkeit auf der Ebene eines Sakraments anderen menschlichen Verbindlichkeiten und Gelübden gleichsetzen. Die sakramentale, gültige und vollzogene Ehe kann keine kirchliche Autorität auflösen - auch die höchste nicht. Man darf denn doch nicht mit dem, was man gar nicht lösen kann, etwas rechtfertigen, was man zwar lösen könnte, aber nicht lösen will.
Ganz abgesehen - würde man den unpassenden Vergleich noch gründlicher strapazieren, dann müßte man ja überhaupt jede Dispens ablehnen. Durch lange Zeit wurde dies auch so gehalten (mit Ausnahme der Fälle bei hochgeborenen Geschlechtern, deren Machterhaltung zuliebe alle "theologischen" Bedenken verblaßten).
5. Biblische Gründe
Mein Statement hat von einigen Seiten sehr harte Verurteilung gefunden, die von "schwerstem Unrecht", "Papstbeschimpfung" -"wünscht den Papst in die Hölle". "Vorwurf der Unbarmherzigkeit völlig unberechtigt", "Undankbarkeit" bis zu "Eitelkeit" und "emotionaler Überzogenheit" reicht.
Die Vorwürfe sind fast immer ohne jedes Eingehen auf die Sachfrage - wenn ich vom Brief Bischof Klaus Küng absehe, der wenigstens eine theologische Begründung der harten Linie versucht. Aber sonst steht nur ein Vorwurf im Vordergrund: Der der Ehrfurchtslosigkeit und des Ungehorsames gegenüber dem Papst.
Dabei sind aber die emotionalsten, prägnantesten und unerbittlich forderndsten Texte gar nicht meine Worte, sondern die von mir zitierten Schriftstellen. Christus hat diese Worte an seine Jünger und in einer Stelle an Petrus persönlich gerichtet (Mt 18,21 "Herr, wie oft darf sich mein Bruder gegen mich verfehlen, daß ich ihm verzeihen muß - etwa siebenmal?" Jesus antwortete ihm: "Ich sage dir, nicht nur bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal sieben...") Zur Verstärkung dessen, was der Herr meint, fügt er die Parabel vom unbarmherzigen Sklaven an, bei dem noch pointierter das Thema "Verzeihung" und "Autorität" angesprochen ist. Außerdem ist klar, daß das Thema "Verzeihung und Versöhnung höchste Pflicht ist und zu den ethischen Grundaussagen der Botschaft Jesu gehört. Ich kann mir die Aufzählung der Belege hier ersparen. Mein "Verbrechen", für das man sich öffentlich entschuldigt hat, bestand darin, daß ich gewagt habe, dieselben Worte, die Jesus an Petrus gerichtet hat, an den Petrus von heute zu richten - und dies im Zusammenhang mit den oben geschilderten Praktiken der Verzeihungsverweigerung auf viele Jahre hinaus - und selbstverständlich in Tausenden von Fällen.
Aber das "Crimen laesae caritatis" (das Verbrechen der verletzten Liebe), das in diesen vergeblichen Bitten der Bischöfe und Ordensoberen sichtbar wird, hat für manche Bischöfe gar kein Gewicht. Sie sehen nur das "Crimen laesae majestatis", wenn man einer hohen Autorität das Wort Gottes vor Augen stellt. Und hier wird die Überzeugung vertreten, daß eben alles, was ein Papst tut, selbstverständlich schriftkonform und barmherzig sei. Ein näheres Eingehen auf eventuelle Diskrepanzen wird gar nicht versucht oder erlaubt. Und so sind die oben geschilderten Praktiken für diese Bischöfe eben "barmherzig" und gerechtfertigt. Ich glaube nicht, daß diese Art von "Papsttreue" dem Papsttum einen Dienst erweist. Es könnte sich einmal herausstellen, daß es mir mehr um die wahre Autorität und Würde des Papstamtes gegangen ist, das ich für unverzichtbar halte.
Organisatorisch formale Bedenken
Ich habe schon gesagt, daß ich mich hüte, einfach der vielgelästerten "vatikanischen Bürokratie" Vorwürfe zu machen. Die Entpersönlichung der Vorgänge und die "Bürokratie" ist eine selbstverständliche Folge des angeordneten Verfahrens. Den Bischöfen und Nachfolgern der Apostel, die von Christus am Ostersonntag die unmittelbare und uneingeschränkte Vollmacht erhalten haben, Menschen mit Gott zu versöhnen, wird in diesem Bereich weltweit diese Vollmacht weggenommen. Damit konzentrieren sich natürlich alle Fälle einer Kirche, die über eine Milliarde Menschen umfaßt, nach Rom. Für den Bischof, der seine Diözese und seine Mitbrüder kennt, ist der mit diesem Problem anstehende "Fall" ein Mensch. Er kennt ihn, meistens seine Herkunft und seine Eltern, sein bisheriges Leben. Er kennt die Gemeinden und Seelsorger, die für ihn sprechen, er kennt die beurteilenden Fachleute. Wenn nun das alles, in Papiere gefaßt, nach Rom geschickt wird, wird aus dem Menschen notgedrungen ein Akt, ein Akt unter Tausenden. Und wenn man diesen Akt dann mit dem Vermerk "wird zehn Jahre nicht berücksichtigt" abstellt, ist aus dem Akt Makulatur geworden. Das System, das wir hier vor uns haben, ist das einer völligen Entpersönlichung. Ich erwähne das hier nur - weil der Akt der Versöhnung und Verzeihung von seinem Wesen her ein zutiefst personaler sein sollte - und nicht ein Vorgang, den man, weil die Masse dazu zwingt, über Computer laufen lassen kann. Ich glaube, daß man dieses System überdenken sollte. Ich erinnere mich daran, daß damals, als ich als Theologiestudent im Gefängnis der Gestapo in Innsbruck saß, mein zukünftiges Schicksal in eine Schreibmaschine des SD in Berlin gehämmert wurde - von Menschen, die mich nie gesehen hatten und die ich nicht kannte. Ich glaube, daß die entpersönlichenden Vollzüge dem Wesen einer pastoralen Kirche zuwiderlaufen. Aber das erwähne ich hier nur am Rande. Wenn die Vorgänge in einem Geist der seelsorglichen Einsicht ablaufen, werden derartige Bedenken gar nicht so virulent.
Eine kleine kirchenrechtliche Schlußbemerkung
Canon 212 § 3
"Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben alle Gläubigen das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und es den übrigen Gläubigen kundzutun."
Rum bei Innsbruck,
Dr. Reinhold Stecher,
Altbischof von Innsbruck