Predigt am 25.12.2003

- Weihnachten, d I cl -
(Kirche zum Mitreden, 25.12.2003)
Hebr 1,1-12; Joh 1,1-14

"Ein Schüler kam aufgeregt zum Rabbi: „Der Messias ist gekommen! Der Messias ist gekommen!“ Ruhig ging der Meister zum Fenster, öffnete es weit, schaute die Straße hinauf und hinunter. Dann schloss er das Fenster wieder und sagte nur: „Ich sehe keine Veränderung!“" Diese Geschichte stand kürzlich in einem Propagandablatt einer international tätigen Firma, die sich gerne als "christliche Kirche" bezeichnet [Breitenbach 50/2003]. Daneben stand groß und breit zu lesen: "Nichts lassen, wie es ist", und dieser Geschichte vom unveränderten Rabbi war der Kommentar hinzugefügt: "Unsere Achtsamkeit für das, was geschehen muss, sollte allem Bitten vorauslaufen. Dann braucht der Messias nicht mehr zu kommen. Er ist schon da. Mitten unter uns."
Zunächst, was soll dieser Aufruf: "Nichts lassen, wie es ist"? Das ist objektiv ein Aufruf zu permanenter Revolution, u.z. einer Revolution ohne jede bzw. gegen jede moralische Grundlage. Nehmen wir als Beispiel das Glaubensbekenntnis. Während die Kirche darauf achtet, dass die Glaubenslehre unverfälscht bewahrt bleibt, hat diese Firma das erklärte Ziel, nichts zu lassen, wie es ist. Es leuchtet ein, dass dieser Firma die unveränderliche katholische Glaubenslehre der größte Dorn im Auge ist, und sie deshalb ganz besonders am Glaubensbekenntnis nichts lassen will, wie es ist. Selbstverständlich wird auch in der Liturgie nichts gelassen, wie es ist, denn wie man die überlieferte Glaubenslehre abschafft, so schafft man auch die überlieferte Gottesverehrung ab. Für diese Firma "braucht der Messias nicht mehr zu kommen." Er musste nicht vor 2000 Jahren kommen, und er muss auch in Zukunft nicht wiederkommen. Auch wenn die Vokabel "Messias" noch genannt wird, getreu dem Grundsatz: "Nichts lassen, wie es ist", ist nun nicht mehr von dem wahren Messias die Rede, sondern nur noch von "unserer Achtsamkeit für das, was geschehen muss". In der Religion dieser Firma ist kein Erlöser nötig oder auch nur gewünscht, denn diese Firma schafft sich selbst ihren Erlöser: Sie will sich selbst erlösen. Der Messias "ist schon da. Mitten unter uns", wenn man nichts lässt, wie es ist. Nun könnte man vielleicht vermuten, dass sich eine Firma, die sich als christliche Kirche bezeichnet, sich von jüdischen Geschichten wie der vom unveränderten Rabbi irgendwie distanziert, am besten dadurch, dass sie klar darlegt, wie argumentativ wertlos und sogar furchtbar irreführend die Geschichte vom unveränderten Rabbi ist. Es folgt aber keinerlei Kritik - wozu auch, wenn doch der Messias nur ein Bild ist für "unsere Achtsamkeit für das, was geschehen muss"? Allerdings: Wenn jemand etwas nicht sieht, dann muss das nicht heißen, dass es nicht da ist. Wenn jemand keine Radiowellen sieht, muss das nicht heißen, dass es keine Radiowellen gibt. Wenn jemand nicht sieht, was hinter seinem Rücken geschieht, muss das nicht heißen, dass hinter seinem Rücken nichts geschieht. Man kann auch unfähig oder unwillig sein, etwas zu sehen. Aus den Worten des unveränderten Rabbi spricht also wenigstens eine erschütternde Oberflächlichkeit, so als ob ihn die biblischen Aussagen über den Messias nicht interessieren, wenn nicht gar eine schwere Bosheit. Wenn er die Veränderungen, die durch das Kommen des Messias eintraten, tatsächlich nicht sehen sollte, so kann er daraus noch kein Recht ableiten, sich auf den Grundsatz zu versteifen: "Es gibt nur das, was ich sehe." Wenn er die Veränderungen aber sieht und dennoch nicht die Wahrheit anerkennen will, sieht die Situation für den unveränderten Rabbi noch schlechter aus.
Dass sich auch Juden vor der Wahrheit verschließen können, beweist die Heilige Schrift sehr deutlich. Das heutige Evangelium in der Tagesmesse von Weihnachten ist der Anfang des Johannesevangeliums, und dort heißt es: "Er kam in Sein Eigentum; doch die Seinigen nahmen Ihn nicht auf." Und Christus hat uns nicht im Unklaren darüber gelassen, was uns bevorstehen kann, wenn wir uns auf seine Seite stellen: "Wenn euch die Welt haßt, so wisset, daß sie Mich vor euch gehaßt hat. [...] Haben sie Mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen" (Joh 15,18.20). Morgen feiert die Kirche den ersten Märtyrer, den Diakon Stephanus, über den die Apostelgeschichte (6f) berichtet: "Stephanus, voll Gnade und Kraft, wirkte große Wunder und Zeichen unter dem Volke. Da erhoben sich einige von der Synagoge der Libertiner, der Cyrenäer, der Alexandriner und derer aus Zilizien und Asien und stritten mit Stephanus. Aber sie vermochten nicht standzuhalten der Weisheit und dem Geiste, mit dem er sprach. Da stifteten sie Männer an, die aussagen mußten: 'Wir haben ihn Lästerreden gegen Moses und gegen Gott führen hören.' So wiegelten sie das Volk, die Ältesten und die Schriftgelehrten auf. Dann überfielen sie ihn und schleppten ihn gewaltsam vor den Hohen Rat. Dort ließen sie falsche Zeugen aussagen." Stephanus hält eine lange Verteidigungsrede, und die Reaktion der Juden darauf gestaltet sich so: "Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu und stürmten alle wie ein Mann auf ihn los. Sie stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn." In vielen Krippen wird am morgigen Tag die Figur des hl. Stephanus hinzugestellt, was den ernsten Charakter des Christentums auch in der so idyllisch wirkenden Krippendarstellung unterstreicht. Bereits an der Krippe Jesu steht der erste Blutzeuge. Wenn wir Freunde Christi sein wollen, dann müssen auch wir zur Krippe gehen, und sei es auch als Blutzeuge. Es steht uns nicht zu, vor dem Kommen des Messias die Augen zu verschließen. Es steht uns nicht zu, uns vor der Wahrheit die Ohren zuzuhalten. Erst recht dürfen wir nicht die Wahrheit verdrehen, etwa mit dem Schlachtruf "Nichts lassen, wie es ist". Nein, wir müssen die Wahrheit so annehmen und weitergeben, wie sie ist - mögen sich auch viele vor der Wahrheit verschließen, mögen wir auch Opfer derer werden, die andere zum Lügen anstiften, die das Volk aufwiegeln, die vor Gericht falsche Zeugen benennen, die sich vor der Wahrheit die Ohren zuhalten und die im Grunde nur ein einziges Mittel haben, um sich mit ihrer Lüge durchzusetzen: die Vernichtung derer, die die Wahrheit sagen.
Damit wir uns - insbesondere in Zeiten der Leids und der Verfolgung - als treue Freunde Christi erweisen können, brauchen wir Tage der Ruhe und Erholung, in denen wir uns frei von der alltäglichen Geschäftigkeit und mit der nötigen Andacht Christus widmen können. Jeder Sonntag soll so ein Tag sein, an dem wir andächtig dem Messopfer beiwohnen. Die Freude des Weihnachtsfestes lädt uns ganz besonders zur Anbetung des Erlösers ein. Kommen wir also in unseren Gedanken zur Krippe nach Bethlehem. Sehen wir das göttliche Kind. Knien wir vor ihm nieder und beten wir es an. Schenken wir uns ihm hin, lassen wir es ganz über uns verfügen. Christus ist das wahre Licht, das in der Finsternis leuchtet. Lassen wir uns nicht von der Finsternis, die rings um uns tobt, verwirren. Tragen wir das Licht Christi in unseren Herzen. Stimmen wir ein in den Chor der Engel: "Ehre sei Gott in der Höhe". Amen.

S. auch:
katholisch.net: Klageschrift und "Verurteilung"
Roland Breitenbach und kath.net

[Zurück zur KzM - Startseite]