Erdogan und die Abtreibungen in der Türkei

- Pressemeldung: Abtreibung ist Mord -
(Kirche zum Mitreden, 04.06.2012)
"Rückfall in Zeiten der Kurpfuscher" - so titelte die Frankfurter Rundschau (04.06.2012) anlässlich der Bestrebungen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, Abtreibungen bereits nach der fünften statt wie bislang erst nach der zehnten Schwangerschaftswoche zu bestrafen. Erdogan sagte dazu: "Abtreibung ist Mord". An der Richtigkeit dieser Aussage ist angesichts der heutigen medizinischen Kenntnisse (cf. Erich Blechschmidt) nicht zu rütteln. Und selbst in mittelalterlichen Vorstellungen von einer späteren Beseelung des Fötus kam kein Theologe auf die Idee, dass zumindest im Frühstadium eine Abtreibung erlaubt sein könnte. Der Mensch ist selbst dann ein Mensch, wenn er nicht durch die Lunge atmet, wenn er für die Nahrungsaufnahme auf fremde Hilfe angewiesen ist etc. Sobald Eizelle und Samenzelle verschmolzen sind, ist die komplette Anlage für den Menschen vorhanden, mag er sich auch noch hundert oder noch mehr Jahre lang verändern. Es ist dementsprechend nicht einfach erlaubt, jeden zu ermorden, der gerade künstlich ernährt / beatmet wird, trotz seiner momentanen Hilflosigkeit. Man darf auch grundsätzlich nicht einfach tatenlos zusehen, wie z.B. ein Unfallopfer in seiner Hilflosigkeit erstickt / ertrinkt / verblutet etc. Menschen bleiben selbst dann Menschen, wenn sie sich noch verändern oder wenn sie momentan hilflos sind. Dementsprechend können auch die typischen vermeintlichen Gegenargumente gegen den Lebensschutz niemals als Entschuldigung oder gar Rechtfertigung von Abtreibungen dienen. Bei Protestkundgebungen in der Türkei gegen Erdogans Abtreibungskritk wurden die übersattsam bekannten Parolen geschwungen wie: "Mein Bauch, meine Entscheidung". Na dann: "Mein Haus, meine Entscheidung" - ich ermorde meine Frau / meinen Mann / meine Kinder / meine Besucher etc. - die halten sich ja in meinem Haus auf. Einkaufen wird zum unverantwortbaren Risiko - der Ladenbesitzer könnte ja von seinem Hausrecht Gebrauch machen und die Kunden ermorden. Der Bürgermeister lässt gleich alle ihm Unliebsamen ermorden, wenn sie sich in seiner Stadt aufhalten. Und was dürfen die Präsidenten der Weltmächte?
Oppositionspolitikerin Aylin Nazliaka äußerte ihren "Wunsch", dass Erdogan "aufhört, Vagina-Wächter zu sein". Also: Die Vagina dient zur Aufnahme des männlichen Geschlechtsorgans. Aber die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle findet im Eileiter statt; die befruchtete Eizelle wandert dann innerhalb von drei bis fünf Tagen zur Gebärmutter. Ein "Vagina-Wächter" wäre wohl jemand, der den Geschlechtsverkehr kontrolliert. Es geht aber Erdogan nicht darum, den Geschlechtsverkehr zu überwachen. Erdogan könnte hier nur als Beschützer hilfloser unschuldiger Menschen bezeichnet werden. Aylin Nazliaka pervertiert also die Aussagen Erdogans vollkommen. Und sie behauptet in diesem Zusammenhang über Erdogan: "Er hat die Türkei an einen Punkt gebracht, an dem sich ein totalitäres Regime ins Privatleben der Menschen einmischt." Im Klartext: Gem. Nazliaka darf ein Politiker nicht das Leben unschuldiger hilfloser Menschen schützen.
Nun noch einige Zitate aus dem eingangs erwähnten Artikel in der Frankfurter Rundschau: "Er [Erdogan] klang wie einst der rumänische Diktator Ceaucescu, der Abtreibungen und Verhütungsmittel verbot, um die Bevölkerungszahl zu steigern, was unendliches Leid in Waisenhäusern zur Folge hatte. [...] Die Zahl der Eingriffe ist in der Türkei zwar angestiegen, aber im Vergleich mit Europa nur halb so groß, dafür ist die Kindersterblichkeit die höchste in der OECD. Zu befürchten ist daher ein Rückfall in Zeiten der Kurpfuscher, ein Anstieg der Müttersterblichkeit und die Wiederkehr des Abtreibungstourismus nach Nordzypern."
Nicolae Ceaușescu? Der hat doch Rumänien ruiniert und wurde doch hingerichtet! Und weil er es nicht zugelassen hat, dass massenweise Kinder im Mutterleib abgeschlachtet wurden, hat er "unendliches Leid in Waisenhäusern" verschuldet! Also wenn Erdogan schon so wie Ceaușescu "klingt", da muss man doch sofort energisch handeln, bevor auch Erdogan "unendliches Leid in Waisenhäusern" verschuldet, gell? Nun atme man bitte ganz langsam und ruhig durch und lese dann diesen Satz der Frankfurter Rundschau noch einmal und noch einmal. Wer kennt noch die typischen Nazi-Parolen? Unwertes Leben darf, ja muss ausmerzt werden! Nur eine gesunde, starke Rasse kann und darf überleben! Wer weiß noch, dass speziell die Nazis eine rigorose Vernichtungspolitik inkl. Abtreibungspolitik gegen "unwertes Leben" durchgesetzt haben? Wie soll man nun mit Redakteuren der Frankfurter Rundschau umgehen, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - in einen Zustand der Schwäche oder gar der Hilflosigkeit geraten? Überhaupt: Wozu soll / mit welchem Recht darf man "unendliches Leid" in Altersheimen, Krankenhäusern etc. tolerieren? Schluss mit "unendlichem Leid" - gerne auch präventiv: Wenn die Möglichkeit nicht sicher auszuschließen ist, dass jemand schwach oder gar hilflos werden könnte, dann erspart man ihm das "unendliche Leid" todsicher, u.z. am besten lange bevor er überhaupt in diese Lage kommen könnte.
Aber von der Problematik dieser Leidprävention mal abgesehen: Sind nicht wenigstens "ein Rückfall in Zeiten der Kurpfuscher, ein Anstieg der Müttersterblichkeit und die Wiederkehr des Abtreibungstourismus" unleugbare Gefahren, die es unbedingt zu verhindern gilt? Nun, Mord bleibt Mord, egal ob er von einem Berufs- oder Gelegenheits-Mörder (-Abtreiber) durchgeführt wird. Wenn der Auftraggeber des Mordes dabei Schaden leidet, wieviel Mitleid verdient er dann? Oder anders: Wieviel Schutz muss man jemandem bereitstellen, damit er einen Mord möglichst unbeschadet durchführen lassen kann. Wenn Abtreibung überall verboten wird, dann hilft auch kein Abtreibungstourismus. Oder anders: Nur weil in einem Nachbarland Mord nicht bestraft wird, muss man deshalb auch Mord im eigenen Land ungestraft lassen.
Zugegeben: Im Grunde bringen die Abtreibungsbefürworter auch in der Erdogan-Debatte nichts, was die Richtigkeit des Satzes "Abtreibung ist Mord" in Frage stellen oder gar widerlegen und somit eine Abtreibung entschuldigen oder gar rechtfertigen könnte. Vielmehr präsentiert sich die Gesellschaft - auch in der Türkei - recht freizügig als zügellose Horde Notgeiler, die für ihren verantwortungslosen Genuss sofort bereit ist, über Leichen zu gehen. Natürlich nur, um "unendliches Leid" zu verhindern - versteht sich! Essen wird nicht als Mittel zur Stärkung verstanden, sondern als Genuss, ggf. mit dem "Abfallprodukt Sättigung". Dass das Übergewicht in der Bevölkerung bei über sechzig Prozent und die Fehlernährung bei über neunundneunzig Prozent liegt, stört offensichtlich praktisch niemanden. Sexualität wird nicht als Mittel zur Fortpflanzung verstanden, sondern als Genuss, ggf. mit dem "Abfallprodukt Mensch". Dass Abtreibung fast immer straffrei bleibt und dass Kindermordgegner für den Lebensschutz bestraft werden, ja dass die Nazi-typische Ideologie vom zu vernichtenden "unwerten Leben" überall wuchert, stört offensichtlich praktisch niemanden.
Zeit für ein Umdenken?

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